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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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infizieren?«, fragte Fanni laut und deutlich.
    »Muss man Ihnen denn wirklich alles vorkauen«, antwortete Haller ungehalten. »Nachdem Annabel einmal beiläufig erwähnt hatte, dass sie überhaupt keinen Impfschutz habe, war sie für mich natürlich die Versuchsperson schlechthin.« Er warf Fanni einen verächtlichen Blick zu.
    Halt ihn mehr bei Laune!
    »Ihre Polioerreger waren wohl bester Qualität«, sagte Fanni.
    Doc Haller nickte stolz. »Als Annabel Grippesymptome spürte, vermutete sie allerdings sofort, dass die nicht von ungefähr kamen.«
    »Und deshalb hat sie Ihnen vorletzten Sonntag wieder Vorhaltungen gemacht.«
    »Sie hat mich aus dem Geländewagen steigen sehen und ist wie eine Furie aus der Hütte geschossen.« Er nahm die Brille ab. »Zum Glück war Rudi schon im Dienstraum verschwunden, als sie mich abfing. Ich bin – so weit als möglich in Deckung der Bäume – schleunigst in Richtung Gipfel gelaufen, damit niemand aus der Hütte sehen konnte, wie sie auf mich einschimpfte oder gar hören konnte, was sie sagte. Annabel musste wohl oder übel mitkommen, wenn sie mit ihren Drohungen und Vorwürfen fortfahren wollte.«
    »Wie haben Sie Annabel denn über die Planke in die Telefonschneise gekriegt?«, fragte Fanni.
    »Wie gesagt«, antwortete der Doc, »sie ist einfach neben mir hergelaufen, und plötzlich standen wir unter dem Stein. Vor lauter Besessenheit, mich irgendwelcher Verbrechen zu überführen, hat Annabel auf nichts anderes mehr geachtet. Und sie war völlig verdattert, als ich sie auf einmal gepackt …« Er setzte die Brille wieder auf. »Aber das wird mir nie jemand beweisen können. Ich habe schließlich ein Alibi für die Tatzeit.«
    »Das falsch ist. Und sobald man Rudi die richtige Frage stellt, wird man dahinterkommen«, entgegnete Fanni. »Warum, Doc Haller?«
    Sehr gut, halte ihn hin, betone seinen Namen und bete, dass du auf deinem Handy die Taste mit dem kleinen grünen Hörer erwischt hast!
    »Was warum?«
    »Warum haben Sie Bakterien gezüchtet, Doc Haller, und Ihre Freunde damit infiziert?«
    Er beäugte die Spritze. »Sie sind strohdumm, Frau Rot. Reiner Zufall, dass Sie mir wegen der albernen Taubnessel auf die Spur kamen. Annabel war viel klüger. Sie hat meine Motivation verstanden.« Er gluckste. »Wenn auch nicht gebilligt. ›Doc Haller‹, hat sie mich angeschrien, ›wollen Sie Gott spielen?‹. Ich frage Sie, Frau Rot, was gibt es Erstrebenswerteres?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich frage Sie nicht, Sie sind zu beschränkt.« Er hob die Spritze an, ließ fachmännisch ein Luftbläschen entweichen.
    Frag was, schnell!
    »Wo … woher hatten Sie all diese Keime?«, stotterte Fanni.
    »Ach Frau Rot, Sie enttäuschen mich mehr und mehr. Wo, glauben Sie denn, war ich vor meinem – äh, Rücktritt jahrzehntelang beschäftigt?«
    »Sie haben die Kulturen in einem Labor geklaut.«
    »Beleidigen Sie mich nicht auch noch, Frau Rot. Ich habe nur die Früchte meiner Arbeit mitgenommen.« Haller deutete angeberisch auf die beiden Kühlschränke.
    Das sind wohl eher so was wie Brutkästen!
    »Ich besitze schier jede Art von bakteriellen Erregern«, prahlte er »– eingefroren, auf Nährböden, in Lösungen. Mit Viren bin ich leider weniger gut bestückt.«
    »Haben sie auch den Syphiliserreger auf Lager?«, fragte Fanni.
    »Treponema pallidum? Nein, leider nicht. Treponema ist sehr schwer zu kultivieren. Wie kommen Sie darauf … Ach, das andere tote Mädchen. Ich habe sie nicht infiziert, kannte sie kaum. Aber ich habe sie liegen sehen, drüben im Höllbach.«
    »Sie haben …«
    Doc Haller lachte. »Das war einer dieser seltsamen Zufälle, die uns ab und zu widerfahren. Zwei tote Mädchen an einem Tag!« Er stützte den Ellbogen auf die Anrichte, um eine bequemere Stellung zu finden. »Ich will Ihnen noch erzählen, wie ich über Irina Svetla stolperte, und dann machen wir Schluss.«
    Sein Blick fiel auf das leere Milchglas. Er nahm ein Töpfchen von einem Drahtgestell und schenkte den Rest Milch, der sich darin befand, in das Glas. Das reichte er Fanni.
    Sie nahm es entgegen und hielt es mit beiden Händen fest.
    Haller stellte sich wieder bequem hin. »Merk auf, Kindchen, jetzt kommt die allerletzte Gute-Nacht-Geschichte: An dem Sonntag, als Annabel starb, bin ich am späten Nachmittag von der Schutzhütte übers Höllbachgspreng abgestiegen. Ungefähr auf Höhe der Abzweigung zum Albrechtschachten habe ich auf halber Böschung zum Bach etwas Blaues leuchten

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