Honigmilch
sie Hofer lachen. »Sie hätten nicht mit einem fast vollen Glas Milch nach ihm werfen sollen.«
»Ich hatte auf den Doc gezielt.«
Jetzt musste auch Sprudel grinsen. Hofer gluckste und prustete und musste sich die Lachtränen aus den Augen wischen. In diesem Moment bemerkte Fanni, dass seine rechte Hand rot entzündet und ein wenig geschwollen war.
»Hat Doc Haller Sie verletzt, als Sie ihn …?«
Hofer schüttelte den Kopf. »Nein, wir konnten ihn problemlos überwältigen. Das da habe ich mir selbst zuzuschreiben.«
Fanni und Sprudel warteten.
»Es ist während der Vernehmung passiert«, erzählte Hofer. »Mir war aufgefallen, dass Haller ständig seine Brille auf- und absetzte. Ich habe sie ihm weggenommen und inspiziert. Dabei habe ich an einem der Bügel ein kleines, vorne und hinten spitz zulaufendes Röhrchen entdeckt, das er offensichtlich selbst angebracht hatte. Ich dachte … Ach, ich weiß nicht, was ich dachte. Vielleicht habe ich einfach zu viele James-Bond-Filme gesehen. Jedenfalls hab ich versucht, das Röhrchen abzulösen, und dabei habe ich mir eine der Spitzen in den Handballen gerammt.«
»Sie müssen …«, begann Fanni.
»War ich schon«, winkte Hofer ab. »Weil Haller so mokant gegrinst hat, habe ich alles zu einer raschen Untersuchung ins Labor bringen lassen.« Er lachte verlegen. »Doc Haller hatte aber mithilfe des Röhrchens nur den Bügel seiner Brille geflickt, weil der abgebrochen war. In und an dem Ding befand sich nichts weiter als ganz normaler Schmutz. Das bisschen Dreck hat allerdings für eine Entzündung genügt.«
Die drei schwiegen, tranken Wein.
Nach einiger Zeit sagte Fanni: »Wie konnte Doc Haller bloß mein Handy finden? Es muss im Schacht unter den Efeuranken gelegen haben. Da hat man es doch nicht sehen können.«
»Haller hat Sie gesehen, Frau Rot«, antwortete Hofer. »Gerade als Sie aus dem Kellerschacht geklettert sind, muss er sich von der Anrichte weg und zum Fenster gedreht haben. Der Doc hat mir erzählt, dass er plötzlich zwei Füße sah, die kurz im Schacht zappelten und dann nach oben verschwanden. Da ist er zur Luke gegangen und hat sofort bemerkt, dass sie nicht ganz geschlossen war. Er hat sie aufgemacht, und da lag das Handy.«
Hofer wollte sich wieder nachschenken, aber die Flasche war leer. Er sah von Sprudel zu Fanni. »Höchste Zeit, laut und deutlich ›danke‹ zu sagen und nach Hause zu gehen!«
Das Frühstück am nächsten Morgen, es war Samstag, der 30. September, verlief in gedrückter Stimmung.
Beide hatten bereits ihre Koffer gepackt. Fanni hatte sogar schon ihr Zimmer bezahlt, um Sprudel damit zuvorzukommen.
Nun schluckte sie mit dem Kaffee eine Portion Tränen hinunter.
Ein halber Satz genügt, pochte es in ihrem Kopf, und du kannst augenblicklich mit Sprudel ans Meer fahren. Nie wieder Straßenfest in Erlenweiler, nie wieder Geburtstagsfeier im Schützenheim. Kein Hans Rot mehr, der sich mit seinem Dauerzahnstocher aus Plastik im Mund herumpult. Der sich selbst für Kommodore Clever hält und Klein-Fannilein für seinen Kajütenjungen. Nie wieder Alltag in Erlenweiler.
Stattdessen Alltag mit Sprudel. Nie wieder heimliche Telefongespräche mit ihm. Nie wieder freudiges Warten auf seine Ankunft. Nie wieder jede Sekunde eines vollen Tages genießen, weil sich alle Tage zu sehr ähneln.
Fanni hatte die Wahl, und sie entschied, wie sie seit letzten Herbst schon ein paarmal entschieden hatte: Sprudel ist mir zu wertvoll, um ihn an den Alltag verlieren zu wollen.
Sie lächelte ihn an, und er wusste, dass er wieder allein in sein Häuschen an der Küste Liguriens zurückkehren würde. Er hatte keine Wahl.
17
Fanni kreiste mit ihrem Einkaufswagen in einem Supermarkt an der Strecke zwischen Zwiesel und Erlenweiler. In ein paar Stunden würden Hans Rot und Leni zurückkommen. Dafür mussten Kühlschrank und Speisekammer aufgefüllt werden.
An der Käsetheke klingelte ihr Handy.
»Mami, wir fahren jetzt in Klein Rohrheim los. Ich bringe Max und Minna mit, weil Vera und Bernhard heute Abend zu einer Geburtstagsparty in Regensburg eingeladen sind. Sie kommen morgen von dort nach Erlenweiler und holen die Kinder wieder ab.«
Fanni kaufte an der Käsetheke außer Emmentaler für Hans Rot und Gorgonzola für Leni noch Butterkäse für Vera und Camembert für Bernhard. Dann suchte sie nach dem Regal mit der Schokolade.
Leni bog gegen vier Uhr in die Zufahrt vor dem Haus. Als Fanni aus der Tür trat, um mit dem Gepäck
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