Honigsüßer Tod
Skeptiker beruhigt sein müssten. Eine wirklich
optimale Lösung.«
Winterhalter nickte, ging wortlos hinaus und ließ den Anzugträger
für ein paar Augenblicke sitzen. Er rief im »Gasthof Linde« an und bestellte
einen großen Wurstsalat mit Schwarzwurst und Zwiebeln – die schwäbische
Variante.
»In zehn Minuten, bitte.« Der Wirt hatte sich für seinen Tipp mit der
Beichte von Mellitus einen zusätzlichen Kunden verdient und Winterhalter seinen
Speck zu Hause auf dem Küchentisch vergessen.
»Wo waren Sie denn vorgestern zwischen 17
und 19 Uhr 30?«, fragte
der Kommissar, nachdem er wieder Platz genommen hatte. »Und Zeugen, bitte!«
»Ich könnte Ihnen so an die 300 nennen«,
sagte der Mobilfunk-Berater. »Ich war bei einem Empfang der Stadt
Villingen-Schwenningen auf der Landesgartenschau. Sie müssen wissen, dass ich
mich für die russische Partnerstadt Tula engagiere. Und da wurden einige Gäste
willkommen geheißen.« Wieder hatte er sein Lächeln parat.
Winterhalter drückte auf den Aus-Knopf des Aufnahmegeräts und bat
den Zeugen, sich für weitere Fragen zur Verfügung zu halten. »Ihr Alibi
überprüfen wir natürlich.«
»Selbstverständlich!« Der Mann drückte Winterhalter seine
Visitenkarte in die Hand.
Als er seinen Gaumen bereits auf den Wurstsalat
eingestellt hatte, kam der Dorfpolizist in den Vernehmungsraum. »Herr
Winterhalter, es gibt ein Problem in der Kirche. Der Pfarrer wird im
Beichtstuhl von einem angeblichen Kommissar belästigt …«
Winterhalter wusste sofort, dass diese Angelegenheit keinen Aufschub
duldete. Und sie war nicht nur dienstlicher Natur. Er fühlte sich auch als
Katholik verpflichtet, sofort einzuschreiten.
Als er an der Kirche eintraf, fand er seine schlimmsten Vorahnungen
bestätigt.
»Da sitzt ein Geisteskranker im Beichtstuhl, gibt sich als Polizist
aus und verlangt von mir, dass ich das Beichtgeheimnis breche. Unvorstellbar.«
Der Dorfpfarrer umklammerte krampfhaft sein Gebetbuch.
»Ich kümmere mich darum, Herr Pfarrer«, sagte Winterhalter ebenso
behutsam, wie er die Kirche betrat und sich im Weitergehen rasch mit Weihwasser
bekreuzigte. Einige Frauen waren in ein erregtes Geflüster mit Hauptkommissar
Thomsen vertieft.
»Ah, Winterhalter. Gut, dass Sie kommen! Erklären Sie diesen Damen
mal, dass die Beichtstunde für heute beendet ist.« Thomsen schien über das
Eintreffen des Kollegen richtiggehend erfreut. Ein wirklich seltener Umstand.
»Des isch ja wohl e’ Frechheit. Sie könne’ doch nit einfach hier
rein platze’ und die Beichtstund’ störe’«, flüsterte die Korpulenteste der
Damen. Ihre dennoch vibrierende Stimme verriet, dass sie ihren kräftigen Sopran
auch regelmäßig im Kirchenchor zur Entfaltung brachte.
»Winterhalter, erklären Sie dieser Dame, dass die Kripo dringlich in
einem Mordfall ermittelt und dabei keine Rücksichten auf irgendwelche
Veranstaltungen der Kirchengemeinde nehmen kann.« Offenbar schien Thomsen der
Meinung zu sein, seine Worte könnten, von Winterhalter in Schwarzwälder Dialekt
gedolmetscht, mehr Wirkung haben. »Bitte begleiten Sie die Damen jetzt nach
draußen. Und dann besorgen Sie mir diesen Pfarrer. Der ist einfach
verschwunden«, beklagte sich Thomsen lautstark.
»Pssst«, machten die Frauen.
Winterhalter begleitete statt der Damenriege seinen Kollegen nach
draußen. Und zwar via Seitenausgang.
»Mensch Chef, des könnet Sie doch nit mache«, rief er aufgeregt. Er
fasste sich wieder etwas, sagte aber nicht weniger eindringlich: »Sie können
doch nicht in einem Beichtstuhl eine Vernehmung vornehmen.«
Winterhalter wusste gar nicht, wo er mit seinem Vortrag anfangen
sollte. Er hatte ja schon am Tatort bemerkt, dass Thomsen in Sachen Religion
ein einigermaßen unbeschriebenes Blatt war. Aber so unbeschrieben? In
sachlichem Hochdeutsch sagte er: »Also: In einen Beichtstuhl einfach so
hineinzugehen, ist ohnehin schon eine heikle Sache. Und was das Beichtgeheimnis
betrifft …«
»Das wird bald kein Geheimnis mehr sein«, sagte Thomsen
entschlossen.
»Chef, das deutsche Zivil- und Strafprozessrecht räumt den
Seelsorgern ein Zeugnisverweigerungsrecht ein. Das heißt, dass die auch einen
Mord, der ihnen in der Beichte anvertraut worden ist, nicht anzeigen müssen.
Egal, was da gesprochen worden ist, es unterliegt der Verschwiegenheit.«
»Aber das ist doch lächerlich. Das Mordopfer Mellitus war ja nicht
mal ein Katholik. Zur Beichte war der doch gar nicht zugelassen.«
»Aber
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