Honigsüßer Tod
Betenden Platz
und musterte den hölzernen Beichtstuhl mit seinen Verzierungen. Auch hier
tippte er auf Barock. Links und rechts befanden sich Türen. Sie waren
geschlossen, kein Geräusch drang nach draußen. Was tun? Eine der Türen
aufreißen und hoffen, dass sich der Pfarrer dahinter befand?
Auf der rechten Seite des Beichtstuhls öffnete sich plötzlich
knarzend eine Tür, und eine weitere ältere Frau kam heraus. Obwohl sich gerade
eine andere Seniorin aufmachte, dorthin zu laufen, ergriff Thomsen die
Gelegenheit. Er drängte sich vor, stürmte zur Tür und begab sich unter einem
empört gezischten »Sie, ich bin d’Nächschte« ins Innere. Er war in einem engen
Kabuff gelandet, das ihm ein Gefühl von Beklemmung verursachte. Zu seiner
Rechten befand sich eine alte Holzbank, zu seiner Linken ein tiefes, schmales
Bänkchen, hinter dem sich zur Mitte des Beichtstuhls eine Trennwand mit einem
nicht zu durchschauenden Gitter erhob.
Unschlüssig stand Thomsen ein paar Sekunden da und entschloss sich
dann, auf dem tieferen Bänkchen Platz zu nehmen.
Ganz allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, sodass
er hinter der Trennwand schemenhaft eine Person erkennen konnte. Diese zeigte
zunächst keine Regung.
Nach einigen Sekunden räusperte sich Thomsen.
Nun meldete sich auch die andere Seite. Er hörte ein geflüstertes
»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden
und Seiner Barmherzigkeit«.
»Äh«, sagte Thomsen, wo eigentlich ein »Amen« besser gepasst hätte.
Doch jetzt wich auch der Mann auf der anderen Seite vom Text ab.
»Bitte hinknien«, flüsterte es – und Thomsen gehorchte.
Der Pfarrer wollte nun ganz offensichtlich Sünden hören – aber die
behielt der Kriminalbeamte mal lieber für sich.
»Es geht nicht um mich«, flüsterte er – und merkte förmlich, wie die
andere Seite erstarrte. Die ungewohnte Umgebung schüchterte den Hauptkommissar
etwas ein. Wahrscheinlich hatte das Ambiente des Beichtstuhls auch genau diesen
Zweck.
Thomsen überwand sich und lüftete sein Inkognito:
»Kriminalhauptkommissar Thomsen, Kripo Villingen-Schwenningen«, sagte er. »Ich
habe einige Fragen wegen des Mordes an dem Sektenmitglied Mellitus alias
Michael Göllner.«
Immer noch sagte der Pfarrer – daran, dass er es war, bestand wohl
kein Zweifel – nichts.
»Wir haben erfahren, dass das Mordopfer einige Stunden vor seinem
Tod bei Ihnen gebeichtet hat.« Schnaufend verließ Thomsen nun die devote,
kniende Position und machte es sich auf der etwas breiteren Bank bequem.
Immerhin kam diesmal eine Antwort – und zwar eine empörte: »Aber
doch nicht hier!«
»Doch, genau hier war das«, bekräftigte Thomsen und überlegte.
Eventuell sollte er den Beichtstuhl nach etwaigen Spuren absuchen lassen.
Vielleicht hatte Mellitus ja seine Sünden auf einem Zettel notiert, und man
konnte noch einen Fetzen davon sicherstellen. Besonders vertraut konnte er mit
der katholischen Form der Beichte doch kaum gewesen sein.
Thomsens Augen verengten sich. Er schaute konzentriert auf den Boden.
Mit den Händen wollte er das Halbdunkel aber nicht absuchen. Möglicherweise gab
es ja sogar Ratten. Denen war bekanntlich nichts heilig.
»Hier handelt es sich um ein Sakrament. Verlassen Sie sofort den
Beichtstuhl!«, zischte der Pfarrer nun.
»Ich ermittle in einem Mordfall«, gab Thomsen zurück. »Also: Was hat
das Sektenmitglied gebeichtet?«
Wieder einige Sekunden nichts. Dann die fassungslose Frage: »Sind
Sie katholisch?«
Thomsen schüttelte den Kopf, was der Pfarrer freilich nicht sehen
konnte.
Er wartete aber offenbar auch gar nicht auf eine Antwort: »Haben Sie
schon mal vom Beichtgeheimnis gehört?«, fragte er jetzt mit Nachdruck.
Thomsen beschloss, wieder einmal Stärke zu zeigen. »Ich wiederhole:
Es handelt sich hier um eine Morduntersuchung. Wenn Sie mir Mellitus’ Aussage
verschweigen, machen Sie sich verdächtig.«
Für einige Sekunden war der Pfarrer baff. Langsam fing er sich: »Das
ist doch wirklich … Verlassen Sie bitte sofort den Beichtstuhl!«
»Wo waren Sie denn zur Tatzeit?«, fragte Thomsen unbeirrt weiter.
Schon ein paar Mal hatte er einen Tatverdächtigen durch seine Sachlichkeit dazu
gebracht, zu explodieren und dabei mehr preiszugeben, als dieser eigentlich
vorgehabt hatte.
Die betenden Damen wunderten sich. »Isch’s jetzt scho’ vorbei? Die
Schtund isch doch no’ gar nit ’rum?«, fragte die eine halblaut. Es war das
erste Mal, dass
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