Honigsüßer Tod
allerdings – die
Sektenleute. Sie hatten noch vor wenigen Tagen »aus Liebe und Solidarität zur
Schöpfung« ihre Teilnahme an der Demonstration angekündigt, glänzten nun aber
nach dem immer noch nicht offiziell bestätigten Tod von Lucidus durch
Abwesenheit. Ob aus eigenem Antrieb oder weil es die Polizei untersagt hatte,
blieb den Veranstaltern zunächst unklar. Auch wenn dadurch die Teilnehmerzahl
reduziert wurde, schien es ihnen aber ganz recht zu sein.
Klaus Riesle dagegen fand es ziemlich bedauerlich. Er hatte sich
unter die Demonstranten gemischt, weil er eine weitere Geschichte witterte.
Anschließend würde er möglichst nahe an den Sonnenhof fahren und hoffen, dass
er alles richtig berechnet und Winterhalter das Amulett auch wirklich übergeben
hatte, sodass er Elke abhören konnte. – Und Hummel? Der sollte zur Hölle
fahren.
Unter den Demonstranten waren mindestens fünf Zivilpolizisten, die
Riesle kannte. Erster Redner war der Lehrer, den er wenige Tage zuvor in der
»Linde« befragt hatte. Er stand auf einem ebenso provisorischen wie klapprigen
Gerüst und hielt ein altes Mikrofon in der Hand. Derweil skizzierte er mit
bedächtiger Stimme die Chronologie des Streits um den Mast. Zunächst habe der
Mobilfunk-Multi bei der Gemeinde angefragt, um den UMTS -Mast
auf der gemeindeeigenen Brunnholzer Höhe zu errichten. Der Bauausschuss habe
die Verpachtung des Grundstücks auch genehmigt.
»Wenn wir nicht eingegriffen hätten, wäre das alles stillschweigend
über die Bühne gegangen«, betonte der Lehrer, der in der gleißenden Sonne
allmählich auszutrocknen schien. Er wirkte noch ausgemergelter als an dem Abend
in der Kneipe. Eine »machtvolle und wachsame Bürgerinitiative für ein gesundes
Großbiberbach« habe sich gegen den drohenden Mast gegründet, betonte er. Und
das sei auch dringend geboten gewesen. Denn, so zitierte er aus dem »Freiburger
Appell« mobilfunkkritischer Ärzte: Konzentrations- und Verhaltensstörungen,
Blutdruckentgleisungen, Herzrhythmusstörungen, Kopfschmerzen, Erschöpfung und
sogar Krebs – all diese Krankheiten würden durch elektromagnetische Felder in
der Nähe von Mobilfunkmasten sowie durch intensive Handynutzung hervorgerufen.
Jedenfalls sei es seinen Mitstreitern und ihm in Großbiberbach durch »gezielte
Einzelgespräche mit Gemeinderäten gelungen, mehrere für die Mobilfunkgefahren
zu sensibilisieren«. Die Kommune habe schließlich zugesichert, einen vom Land
bezahlten Mobilfunk-Berater einzuschalten.
»Der isch aber nit nu’ vom Land, sondern au’ vo’ de Mobilfunkmafia
bezahlt worde’«, erläuterte ein Mann neben Riesle. Auch ihn kannte er aus dem
Wirtshaus – der knorrige Bauer Brändle. »Der Scheiß-Mast wär’ grad 300 Meter vo’ meinem Hof weg«, fügte der noch hinzu. »Die
spinne’ doch.«
Auf dem Podium appellierte der Lehrer an den »mündigen Bürger«,
während ein paar Plakate mit durchgestrichenen Handys hochgehalten wurden. Die
vielleicht 30 Demonstranten aus dem Dorf wurden
verstärkt durch Aktivisten aus Villingen-Schwenningen und Freiburg.
»Wie war das mit dem Mobilfunk-Berater?«, fragte Riesle den Bauern.
»Dieser Typ isch en’ Diplom-Ingenieur und sollt’ eigentlich objektiv
sei’, aber die offizielle Informationsveranstaltung war en Witz«, berichtete
er. »Da war von Anfang an klar, dass der des Ding am geplante Standort
durchdrücke’ will.«
Auf dem Podium hatte der Lehrer mittlerweile seine Rede beendet. Er
übergab an Dr. Duffner, den Arzt, dem die Mobilfunkgegner vertrauten.
Hauptkommissar Thomsen beobachtete die Veranstaltung mit
unergründlicher Miene. Gelegentlich machte er sich Notizen.
»Haben Sie denn Beweise, dass der Berater von den
Mobilfunkunternehmen geschmiert wurde?«, fragte Riesle.
»Beweise, Beweise, ich brauch’ keine Beweise. Des isch die Wahrheit.
Jeder offizielle Mobilfunk-Berater hätte mal selbscht g’messe und sich g’fragt,
weshalb die Strahlung vo’ dem geplante’ Sender so stark sei’ muss. Aber der
feine Herr hät alles scho’ vorher präsent g’habt.«
»Und wie wird es jetzt rein rechtlich weitergehen?«, wollte Riesle
wissen.
»De Gemeinderat wird sich aufgrund der Empfehlung demnächst wohl
endgültig dafür ausspreche’, des Grundstück an die Mobilfunkmafia zu
verpachte’. Aber mir klage’ dagege’ – wobei ich nit viel Hoffnung in die
irdische Gerechtigkeit setz’.«
Vorne auf der Bühne war der Arzt mittlerweile von einer Handvoll
Gegendemonstranten
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