Honigsüßer Tod
»Sonnenkinder«. Sie dürfe sich nicht kleiner machen, als
sie sei. Niemals.
Es raschelte. Wahrscheinlich spielte Fiducia gerade zerstreut mit
ihren bunten Halsketten.
Riesle schüttelte den Kopf. Er kannte Elke seit mehr als zwei
Jahrzehnten. Sie war schon fast immer da gewesen – als selbstverständliche Frau
seines selbstverständlichen Freundes. Er hatte Elke insgeheim ein bisschen
bewundert, wohl wissend, dass das umgekehrt bei aller Wertschätzung sicher
nicht der Fall war. Er war ihr wohl zu wenig tiefsinnig, zu sprunghaft, zu derb
manches Mal, zu wenig sensibel für ihre spirituellen Ausflüge. Wie auch immer – Elke war in gewisser Hinsicht ein Teil seiner Welt. Ein kleiner Teil
vielleicht, aber einer, der dazugehörte. Bei ihm selbst, überlegte Riesle, waren
Frauen gekommen und gegangen. Aber dass er eines Tages bei Hummel vorfahren
könnte und eine andere Lebensgefährtin ihm die Tür öffnete, dieser Gedanke kam
Riesle außerordentlich irreal vor. Das Leben war manches Mal einfach nur
seltsam, sinnierte der Journalist, der melancholisch wurde, während er abwesend
auf die Mauer des Gehöfts starrte und die Worte gar nicht mehr in sich aufnahm,
die der Empfänger ihm durchgab.
Erst dieser Satz katapultierte ihn in die Gegenwart zurück: »Glaubst
du wirklich, dass der Erleuchtete tot ist?«, fragte Elke.
»Egal, in welchem Zustand Lucidus ist: Hab Vertrauen!«, lautete die
Antwort. Der nächste Satz war noch spannender: »Ich denke, heute Abend wird
dein Vertrauen belohnt werden.«
Auch das Vertrauen einer weiteren Person wurde in diesen
Minuten belohnt. Claas Thomsen saß verbissen an seinem Bericht über die
Mobilfunk-Demonstration in der provisorischen Kommandozentrale der Soko
›Honig‹, als der Anruf aus Stuttgart kam.
»Herr Hauptkommissar, wir haben die Ergebnisse der DNA -Analyse des männlichen Mordopfers aus dem
ausgebrannten Wagen bei Großbiberbach am gestrigen Abend«, sagte Frau Albert,
die Expertin aus der Landeshauptstadt.
Es ist Lucidus, ahnte Thomsen, der sich auf seinen Instinkt einiges
einbildete. Konnte er auch. Ȇbereinstimmung der DNA -Proben
mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 Prozent«, teilte die Expertin mit. Der Tod des Sektenchefs war damit bestätigt.
Nun würde Thomsen wohl oder übel die Kollegen auf den aktuellen
Ermittlungsstand bringen müssen. Zumal für 18 Uhr
Frau Bergmann ihr abermaliges Kommen angedroht hatte. Noch sieben Minuten. Der
war zuzutrauen, dass sie mit dem Gongschlag die Tür aufriss, um ihm weitere
Vorwürfe zu machen, falls er die Nachricht nicht in den folgenden sieben
Minuten auch noch dem hinterletzten Beamten übermittelt hätte.
Thomsen hoffte inständig, dass die Bergmann wieder gehen würde,
sobald sie sich davon überzeugt hatte, dass er wirklich Schreibtischdienst
machte, koordinierte und zumindest in Ansätzen der gewünschte Teamworker war.
Im Verlauf des Abends würde er aber natürlich wieder draußen aktiv
werden. Die Mobilfunkspur weiter verfolgen. Nochmals den Sonnenhof aufsuchen.
Irgendwo dort musste es doch ein Foto von diesem verschwundenen Apricus für die
Fahndung geben. Die von ihm delegierten Kollegen Schmittke und Walz waren
natürlich bei der Suche vor Ort gescheitert. Man musste eben doch alles selbst
machen.
Horst Köhler lächelte immer noch neben der Tür.
25. An der Mauer auf der Lauer
Ein Klopfen. Aha, es tat sich was.
»Liebe Fiducia, entschuldige bitte, dass ich dich störe«, sorgte die
Stimme einer jungen Frau dafür, dass das angespannt-positive Kribbeln in
Riesles oberem Verdauungstrakt wieder einsetzte. Elke bekam Besuch.
»Hallo, Andromeda. Aber nein, du störst durchaus nicht. Nie. Komm
herein.«
Riesle war sehr zufrieden mit seiner Arbeit. Der Ton war jetzt
glasklar.
Hatte Elke beim Gespräch mit Brindur nervlich schon etwas
angeschlagen gewirkt, so wurde sie nun von Andromeda noch weit übertroffen.
»Ich bin so verwirrt und aufgewühlt. Ich kann es kaum erwarten, bis wir nachher
die Offenbarung des Lucidus erhalten. Was, meinst du wohl, wird er uns
mitteilen?«, fragte die junge Frau.
Riesles Kribbeln steigerte sich noch. Die »Kinder der Sonne« standen
kurz vor einer Offenbarung durch den verstorbenen Sektenchef. Was dabei wohl
passierte? Eine Schaltung ins Jenseits? Er drückte schnell wieder auf den
Aufnahmeknopf des Kassettenrekorders.
»Wir müssen uns in Geduld üben, Andromeda«, sagte Elke, der das
Gespräch mit Brindur offenbar neue Kraft gegeben hatte. »Denk an
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