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Honigsüßer Tod

Honigsüßer Tod

Titel: Honigsüßer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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besaß dieses Vertrauen auch. Wenn man sich stets bemühte und an
sich arbeitete, würde alles gut gehen. Er und die anderen führenden Mitglieder
der »Kinder der Sonne« hatten getan, was sie konnten. Die Aula war dem Anlass
entsprechend noch feierlicher als sonst mit Blumen geschmückt. Zwei große weiße
Statuen des Erleuchteten zierten den Raum. Sanfte ostasiatische Musik kam aus
den Lautsprechern. Es war wichtig, die »Kinder« in eine ruhige Stimmung zu
versetzen.
    »Seid ihr vollzählig, liebe Brüder und Schwestern der Sonne?«,
fragte er mit sonorer, freundlicher Stimme in die weißgekleidete Runde.
    »Alle – bis auf Apricus. Er ist noch immer verschwunden«, sagte ein
junger Mann. »Unser Herz füllt sich mit Sorge. Die Polizei war da und wollte
ein Foto von ihm. Weißt du, lieber Bruder, wo er sein könnte und was das
bedeuten soll?«
    »Ihr Lieben, habt Vertrauen!«, sagte Brindur nur und brachte sich
vor der goldenen, eindrucksvoll glänzenden Sonne in Position, die in der Mitte
des Raumes von der Decke herunterhing. Die Strahlen der tief stehenden, echten
Sonne drangen nun durch die großen Fenster und tauchten den Raum in eine
faszinierende Mischung aus Rot und Gelb. Sie trafen auch die große metallene
Sonne, die Lichtreflexe in die gesamte Aula sandte und die Helligkeit noch verstärkte.
    Kreisförmig hatten sich die »Kinder der Sonne« um das große
Sonnensymbol herum platziert. Unter ihnen herrschte eine Stimmung der
Verunsicherung, Anspannung und Neugier.
    Aus dem Boden des rundlichen Raumes fuhren zwei Bildschirme hoch.
Einmal pro Woche wurden per Videokonferenz gemeinsame Sonnenanbetungen mit den
anderen Dependancen abgehalten. Und auch heute sollten die Bildschirme von
Nutzen sein. Lucidus hatte lange mit sich gerungen, ob deren Anschaffung ein
Verstoß gegen die Theologie der Gemeinschaft sei. Letztlich war ihm aber
klargeworden, dass man irgendetwas benötigte, um mit den übrigen »Kindern der
Sonne« in der Schweiz, in Norwegen und in Chile zu kommunizieren. Zum Glück gab
es diese Flachbildschirme, die bei allen Elektrosmog-Besorgten erste Wahl
waren, weil sie so gut wie keine Strahlung emittierten. Der Sonnengott hatte
sich bislang nicht darüber beschwert.
    »Liebe Schwestern und Brüder«, setzte Brindur mit seiner
schwingenden Stimme an, während das Sonnenlicht langsam schwächer wurde.
»Wenige Stunden bevor Lucidus gestern den Sonnenhof verließ, hatte er in Trance
die große Offenbarung, die sich ihm seit Tagen ankündigte. Der Erleuchtete
wollte, dass nicht nur ihr, sondern alle Geschöpfe guten Willens dieser Welt
daran teilhaben, sodass sie aufgezeichnet werden konnte. Bevor wir sie
abspielen, will ich euch sagen, dass mit dieser Offenbarung eine wunderbare,
neue Zeitrechnung beginnen wird!«
    »Telefonieren dürfen sie nicht, aber fernsehgucken«, lästerte Klaus.
    »Pst«, machte Hummel.
    Die Sonne hatte sich nun fast hinter dem Horizont verabschiedet,
sodass die Sektenmitglieder gut das Antlitz des Lucidus auf den Bildschirmen
erkennen konnten.
    »O Sol Invictus«, rief eine Frau nach dem weit entfernten und doch
so nahen Sonnengott, der im Erleuchteten sein Medium hatte.
    Lucidus schaute verklärt in die Ferne, wirkte entrückt. Die Sonne
strahlte sein Gesicht und seine azurblauen Augen an. Er breitete die Arme aus
und setzte zu einem Singsang an, der Hummel und Riesle an den eines
indianischen Medizinmannes erinnerte.
    »Ja sag mal, Gesang ist auch noch geboten«, versuchte Klaus seine
Nervosität wieder einmal mit Flapsigkeit zu überspielen. Hummel ignorierte ihn.
Er war angespannt bis in die Spitzen seiner schütteren Haare.
    »Sol Invictus. Sei gelobt. Ich bin dein Werkzeug«, setzte Lucidus zu
einer Art Sprechgesang an. »Ich sehe …« Er stockte. »Ich sehe … den Tod meiner
sterblichen Hülle. Das Weiterschreiten in die neue Existenz.«
    »Oh«, riefen die einen. »Ah«, die anderen vor Entsetzen.
    »Aha«, überwog bei Klaus das Erstaunen. Hummel schwieg noch immer.
Er umkrampfte die Lehne des Sitzes.
    »Ich sehe einen Waldrand, ganz in der Nähe. Ich spüre negative
Empfindungen. Ich spüre Hass, Wut, Gewalt. Sie richten sich gegen mich.« Kurze
Pause, als müsse das Medium erst in die menschliche Sprache übersetzen, was ihm
das Göttliche eingab. »Noch heute. Am Tag, an dem die Sonne mir dieses
offenbart. Ich bin bereit.« Große Unruhe machte sich in der Runde breit.
    »Doch seid unbesorgt«, beeilte sich Lucidus seinen Sprechgesang
fortzusetzen. »Habt

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