Honigtot (German Edition)
nachgedacht, ob er sich an jemanden in ihrem Umfeld erinnern konnte. Aber da war niemand. Greta hatte ihn von sich aus angesprochen, als er sich in der Wilhelmstraße eine Zigarette angezündet hatte, nicht weit von seinem Arbeitsplatz im Prinz-Albrecht-Palais, in dem das Reichssicherheitshauptamt sein Hauptquartier unterhielt.
Sie war teuer gekleidet gewesen, sehr hübsch und überaus anziehend. Sie hatte ihn gefragt, ob er auch eine Zigarette für sie hätte. Er fand ihre Verwegenheit, einen hohen SS-Offizier um eine Zigarette zu bitten, obwohl das Rauchen von Frauen in der Öffentlichkeit nicht erwünscht war, ziemlich verwegen. So hatte es begonnen. Im Nachhinein wurde ihm klar, dass Greta alles genauso geplant hatte. Er war blind in ihre Falle getappt. Dabei hatte sie überhaupt nichts Jüdisches an sich gehabt!
Sie erwartete ihn heute Abend um sieben Uhr vor dem Haupteingang am Tiergarten zur Übergabe der Papiere. Schitler sah auf die Uhr. Noch sechs Stunden. Er holte tief Luft. Egal, ob er erwischt wurde oder die Frau ihn verriet, es würde ihn so oder so den Kopf kosten.
Ihm blieb nicht viel Zeit, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Besser, er begann zu überlegen, wie.
Kapitel 50
MÜNCHEN/Deutsches Reich, im Juli 1944
Marlene beobachtete das Haus am Prinzregentenplatz schon eine ganze Weile. Niemand hatte es bisher betreten oder verlassen. Ihre Füße schmerzten, obwohl sie bequeme Halbschuhe trug. Auch wenn sie durch eiserne Disziplin und neun Monate hartes Training ihre frühere Konstitution zurückerlangt hatte, war langes Stehen noch immer anstrengend für sie. Sie wechselte zum x-ten Mal von einem Bein auf das andere.
Nachdem sie mit Hilfe des mutigen Doktor Hondl aus dem Krankenhaus hatte fliehen können, hatte sie sich zu einem Kellerversteck durchgeschlagen, das sie damals vorsorglich für den Fall, kurzfristig untertauchen zu müssen, angelegt hatte. Es war tatsächlich noch unentdeckt geblieben. Darin hatte sie Papiere, Kleidung und vor allem Geld versteckt gehabt. Als Nächstes hatte sie Kontakt zu ihren früheren Kameraden bei der ZOB aufgenommen. Mit deren Hilfe war es ihr gelungen, nach Deutschland zu gelangen. Der gute Doktor Hondl. Erst hatte er ihr bei ihren Übungen geholfen, damit sie wieder zu Kräften kam, und damit das Risiko von Greiffs Vergeltung auf sich genommen. Immerhin hatte er ihr verraten, dass die Nachfragen nach Marlene aus Greiffs Büro mit den Monaten nachgelassen hatten. Im Gegensatz zu Marlene, die jeden Tag an Greiff dachte, schien er sie langsam zu vergessen.
Ein Priester, der sich nun von der anderen Seite dem Prinzregentenplatz näherte, erregte Marlenes Aufmerksamkeit. Er hatte seine Soutane geschürzt, um rascher ausschreiten zu können. Er war noch ungefähr fünfzig Meter von Marlene entfernt, trotzdem erschrak sie. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, dann würde sie glatt annehmen, dass das Albrecht Brunnmann wäre. Aber warum sollte er sich als Priesters verkleiden? Noch während sie sich dies fragte, wusste sie, wer der Mann war: Leopold, Albrechts Bruder!
Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Der Priester war eben vor dem Haus 10 angekommen, als ein dunkler Wagen hinter ihm herangeschossen kam, mit quietschenden Reifen hielt und sofort zwei Männer heraussprangen.
Marlene fuhr der Schreck in alle Glieder. Gestapo! Der Priester hatte sich nur kurz umgesehen, die Gefahr erkannt und sofort die Beine in die Hand genommen. Er lief genau in Marlenes Richtung, gefolgt von den beiden Gestapo-Männern, die ihn laut anriefen, stehenzubleiben. Beide hatten ihre Waffen gezogen. Marlene drückte sich mit klopfendem Herzen noch fester an die Häuserwand. Der Flüchtende hastete nur wenige Meter entfernt an ihr vorbei.
Dann fiel ein Schuss! Der Prinzregentenplatz war sehr belebt und Marlene hörte nun mehrere Menschen angstvoll schreien, ein kleines Mädchen, an die Hand ihrer Mutter geklammert, fing an laut zu weinen. Der Priester stoppte abrupt ab, hob die Arme und ließ sich dann widerstandslos festnehmen und zum Wagen führen. Erleichtert sah Marlene, wie sich das Fahrzeug entfernte.
Während sich Marlene noch fragte, ob sie besser gehen und morgen wiederkommen sollte, öffnete sich die Tür der Nummer 10. Eine korpulente Frau um die fünfzig verließ das Haus. Sie trug einen Korb.
Marlene musterte sie. Ob es sich um Ottilie handeln konnte? Deborah hatte ihr von dem gutmütigen Hausmädchen erzählt, das seit über
Weitere Kostenlose Bücher