Honigtot (German Edition)
zwanzig Jahren in den Diensten der Familie Berchinger stand, und sie wusste daher, dass die Frau vertrauenswürdig war. Darum hatte sie beschlossen, sie in ihren Plan einzubeziehen. Anders wäre eine Kontaktaufnahme zu Deborah nicht möglich, jedenfalls nicht so schnell. Marlene wollte sich nicht länger als unbedingt nötig in München aufhalten.
Sie hatte lange überlegt, ob sie das Risiko, Deborah und ihren Bruder aus Brunnmanns Fängen zu retten, eingehen konnte und wollte. Und sich dafür entschieden. Irgendwie mochte sie das verrückte junge Mädchen.
Und sie hatten denselben Mann geliebt. Jakob.
Marlene folgte der Frau, die sie für Ottilie hielt. Es wurde ein längerer Fußmarsch bis zu einem Markt, auf dem nicht mehr viel angeboten wurde. Doch die Frau wusste anscheinend, wen sie ansprechen musste, und sie hatte Geld. Brunnmanns Geld. Geld, das er Juden gestohlen hatte, dachte Marlene grimmig. Ganz plötzlich wurden verborgene Schätze hervorgeholt und wechselte gute Ware den Besitzer.
Marlene schlenderte näher heran, und tat so, als wollte sie die Ware am Stand begutachten. Sie konnte so hören, wie der Gemüsehändler die Frau ansprach: „Na, Ottilie, was derf´s denn heut sein?“ Ottilie! Marlene atmete auf. Sie war es tatsächlich!
Als Ottilie ihre Einkäufe im Korb verstaut hatte und weiterging, holte Marlene sie ein und trat neben sie. „Verzeihen Sie. Sie sind Frau Ottilie?“
„Ja?“ Die Frau trat misstrauisch einen Schritt zurück. Sie musterte Marlene in ihrem einfachen Sommerkleid von oben bis unten.
„ Ich bin eine Freundin von Deborah und habe sie in Krakau kennengelernt.“
„Jessas, Sie san die Marlene, aber ja!“ Zu Marlenes Verblüffung ließ Ottilie den Korb los, fiel ihr um den Hals und brach in Tränen aus.
Marlene stand stocksteif und konnte nur denken: Verdammt, das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist Aufsehen! „Kommen Sie, Ottilie, beruhigen Sie sich. Gehen wir ein Stück.“ Marlene warf einen beunruhigten Blick über Ottilies Schulter. Der Gemüsehändler und einige andere beäugten sie neugierig. Marlene schob Ottilie von sich, packte deren Korb und zog die Frau energisch mit sich bis zu einem Hauseingang. „Herrgott, Ottilie, keine Namen!“, zischte sie.
„Entschuldigens, bitte. Ich weiß ja, Sie sind eine Spionin. Aber ich hab mich halt so g`freut.“
Marlene rollte mit den Augen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Ottilie anzusprechen. „Hören Sie, Ottilie. Keine Namen und vor allem, ich bin keine Spionin. Oder wollen Sie, dass die Gestapo uns alle ins Gefängnis wirft?“
Die Erwähnung der Gestapo wirkte - wie immer. Ottilie wurde blass. „Mei, Sie ham ja Recht. Die Freude war´s. Die Deborah erzählt halt immer so nett von Ihnen. Ham´ Sie was vor?“ Immerhin kam Ottilie gleich auf den Punkt.
„Vielleicht. Wie geht es Deborah?“
„Nicht so gut, eingesperrt is sie, das arme Madel, aber sie hält durch, wegen dem Wolferl. Dieser Herr Brunnmann ist schon ein schlimmer Mensch. Und zu was der die Deborah alles zwingt und …“ Ottilies Stimme erstickte.
Marlene fürchtete zu Recht einen weiteren Tränenausbruch. „Ist ja gut, Ottilie. Hör zu, ich habe hier einen Brief für Deborah. Bring mir morgen ihre Antwort. Ich warte hier, an dieser Stelle, um die gleiche Zeit auf dich. Einverstanden?“
Ottilie willigte sofort ein.
Ottilie verspätete sich um über eine Stunde. Marlene wurde langsam unruhig. Gerade, als sie beschlossen hatte, zum Prinzregentenplatz zu laufen, kam Ottilie völlig außer Atem angelaufen. „Entschuldigens! Aber grad, als ich los bin, ist der Brunnmann angekommen. Dabei war der doch erst nächste Woche angekündigt! Und weil´s schon so spät war, hot mi die Köchin, der Nazi-Besn, noch schnell zum Konditor g´schickt, bevor der nix mehr hot. Drum hab ich net viel Zeit, ich muss gleich z´ruck. Die Tort´n fällt mir sonst zamm bei der Hitze, der elendigen.“ Während sie noch sprach, zog sie ein Blatt Papier aus ihrer Schürze und überreichte Marlene feierlich Deborahs Antwort.
Liebste Freundin,
ich kann es kaum fassen, dass du hier bist! Wolferl und ich sind in unseren Zimmern eingesperrt. Ich darf nie raus, aber vielleicht kannst du meinen Bruder retten? Manchmal kann ich eine von Brunnmanns Hausangestellten bestechen, damit sie eine halbe Stunde mit ihm spazieren geht. Ich werde es morgen Nachmittag versuchen. Warte ab zwei Uhr vor unserem Haus. Danke! Und bitte sei mir nicht böse.
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