Honky Tonk Pirates - Das vergessene Volk - Band 2

wütend, wenn ich vorher ins Gras beißen muss. So wie jetzt, weißt du? Hab ich mich undeutlich ausgedrückt oder hast du’s kapiert?«
    Will sah sie an - mit offenem Mund -, und für einen wunderbaren Moment wusste er nicht, wo er war. »Sagst du das nur, um mir Mut zu machen?«, fragte er sie, doch dann fiel sein Blick auf die Krieger. Die hatten sich auf dem Felsenkranz gegenüber verteilt, spannten jetzt ihre Bögen, und die goldenen Pfeilspitzen blitzten im Licht, als wären sie kleine Sonnen.
    »Denk, was du willst«, brummte Honky Tonk Hannah. »Mut kannst du auf jeden Fall jetzt’ne ganze Menge gebrauchen.« Sie zog ihr Schwert aus der Scheide auf ihrem Rücken. »Ich hab nämlich nicht vor, alleine zu sterben.« Sie hob ihre Stimme. »Ich denk nicht daran.« Sie schaute von den Kriegern zur Jaguarfrau, und der Blick, den sie ihr zuwarf, war eine einzige Drohung. »Ich sterb nicht allein und ich hoffe für dich, dass du mich verstehst. Ich bin Honky Tonk Hannah und der da ist Höllenhund Will.« Auch Will zog sein Schwert. »Und wir geben dir hiermit die letzte Chance. Sag deinen Kannibalen, sie sollen verduften, und du verduftest am besten gleich auch. Denn wenn du das nicht tust, fährst du mit uns zur Hölle, und
dort wird es bestimmt nicht bequem für dich sein. Denn die Hölle, weißt du, ist unser Zuhause. Da fühlen wir uns so richtig wohl.«
    »Ja-mahn! Auf in die Hölle!«, bestätigte Will. »Wo immer die ist!« Dann hob er sein Schwert und rannte zusammen mit Hannah auf die Kriegerin zu.
    »Pass auf die Pfeile auf!«, warnte ihn die Piratin, doch da hob die Jaguarfrau ihre Hand.
    Will sah, wie die Krieger die Bögen senkten, und dann schlugen Hannah und er auch schon zu. Gleichzeitig sausten ihre Schwerter auf die Gegnerin nieder. Hannah zielte von rechts auf die Hüfte,Will schlug von links auf den Hals, und sie wähnten sich schon als die sicheren Sieger. Da ging die Jaguarkriegerin in die Knie. Sie wirbelte die Schlaglanze wie einen Propeller vor ihrem Körper. Sie verkantete sie mit den Parierstangen der Schwerter. Sie blockierte die Waffen und dann starrten sie sich alle drei, Nasen und Augen nur Zentimeter voneinander entfernt, überrascht, feindselig und neugierig an.
    Kurz danach kippte Hannah nach hinten. Die Faust, die sie traf, war nur ein flüchtiger Schatten, doch bevor sie rücklings ins Wasser fiel, spürte Will noch den Tritt des Mädchens zwischen seine Beine. Er stöhnte kurz auf und als er gerade schon dachte, dass die Welt offenbar nur aus Schmerzen bestand, schlug ihre Handfläche gegen seinen gebrochenen Kiefer.Will schrie. Verflucht, er konnte nicht anders. Und während er schrie, fiel er hinter Hannah ins Wasser, trieb auf den tosenden Wasserfall zu und stürzte ihn schreiend hinab.

PARADIES »HÖLLE«

    D er Sturz dauerte ewig und irgendwann konnte Will nicht mehr schreien. Er gab sich auf. Er öffnete seine Augen, erkannte Honky Tonk Hannah neben sich, als flögen sie beide durch einen Schleier aus Schaum. Sie sah ihm in die Augen, versuchte zu lächeln und streckte dann endlich die Hand nach ihm aus. Will tat das Gleiche, und im selben Moment, als sich ihre Fingerspitzen berührten, stürzten sie in den See. Dort tauchten sie unter. Die Strudel im Wasser wirbelten sie kreuz und quer durcheinander und zogen sie hinunter bis zum felsi- gen Grund. Doch bevor sie dort mit ihren Köpfen aufschlugen, packte sie eine kräftige Strömung und trug sie zur Wasserober- fläche zurück.
    Hannah und Will schnappten nach Luft. Sie husteten das Wasser aus ihren Lungen heraus und starrten ungläubig auf den Wasserfall. Der schien direkt aus dem Himmel zu fallen, und Will wollte nicht glauben, dass sie noch lebten.
    »Heiliger Flitzfliegenschiss!«, lachte der Junge. »Hannah, jetzt kannst du mir glauben, dass ich Träume wahr machen kann.«
    »Ja-mahn!«, raunte Hannah und schaute sich um. Der See lag am Rand eines riesigen Tals, oder besser gesagt, am Rand eines Kraters in einem uralten, vor ewigen Zeiten erloschenenVulkan.
Sie schwammen zum Ufer und gingen durchs Schilf. Ihr Blick schweifte über die Wiesen, Auen und schattigen Haine, die sich in einigen Kilometern Entfernung ganz sanft zum Kraterrand hoben. Der schloss alles ein, als wollte er dieses stille Juwel nicht nur schützend umarmen, sondern mit seinen schroffen Gipfeln für immer vor allen bösen Blicken bewahren.
    »Ist das nicht schön?«, staunte Hannah, und Will, der neben ihr stand, konnte nur nicken. Er sah drei