Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
sie nur wenige Bekanntschaften schließen und pflegen können, und weil sie nicht offiziell zu Hauptmann’s gehörten, begegnete man ihnen ohnedies mit einer gewissen Distanz.
Was für die Eltern galt, traf auf ihren Nachwuchs erst rechtzu. Auf Unicorn-11 gab es nur wenige Kinder, was unter anderem eine eher nachteilige Folge der altershemmenden Prolong-Behandlung war. Prolong zeigte eine Tendenz, zahlreiche Altersschranken auszulöschen, die die Menschheit von jeher mit sich herumgetragen hatte. Wenn die Zivilisation sich an die Konsequenzen erst einmal gewöhnt hätte, wäre das vermutlich eine gute Sache. Allerdings verfügte man noch nicht so lange über Prolong, um genau zu wissen, worin diese Konsequenzen eigentlich bestanden, so glaubte jedenfalls Ranjit. Im Sternenkönigreich kam das Verfahren erst seit vierundsechzig Jahren zur Anwendung. Jemandem in seinem Alter erschienen vierundsechzig Jahre zwar wie eine Ewigkeit, aber für eine Kultur, die sich an eine derart monumentale Veränderung anpassen musste, hatten sie kaum länger gedauert als ein Lidschlag. Eine momentane Auswirkung war indessen bereits offensichtlich: Im Durchschnitt ließen die Menschen sich mehr Zeit, ehe sie Kinder in die Welt setzten. Ranjits Eltern waren die Sache rascher angegangen als die meisten ihrer Altersgenossen, weil sie Kinder liebten und sich früh Nachwuchs wünschten, doch zunehmend entschieden sich weniger Menschen dafür. In Unicorn-11 gab es weniger als dreihundert Kinder, obwohl die Gesamtbevölkerung um die achttausend Menschen betrug. Die meisten von diesen Kindern waren Kinder der älteren Stammbesatzung und im Durchschnitt ebenfalls älter. Mit siebzehn gehörte Ranjit zum Mittelfeld, während die zwölfjährige Susan tatsächlich das jüngste Kind im ganzen Habitat war.
Um das Elend komplett zu machen, war Unicorn-11 so weit von Gryphon, dem nächsten bewohnten Planeten, entfernt, dass sich bei allem Signalverkehr die Übertragungsverzögerung durch die Lichtgeschwindigkeit deutlich bemerkbar machte. Im Augenblick lief ein Signal in jeder Richtung mehr als zwölf Minuten lang, und diese Zeitspanne wuchs umso mehr, je weiter die Relativbewegungen von Unicorn-11 und Gryphon den künstlichen und den natürlichen Himmelskörper voneinander trennten. Dadurch wurde es für das Habitat unmöglich, sich in das planetare Bildungs- und Erziehungsnetz einzubinden, was normalerweise der Fall gewesen wäre. Zwar betrieb das Hauptmann-Kartell innerhalb des Habitats ein ausgezeichnetes Schulsystem, und Ranjit gefiel die neue Erfahrung sehr, menschlichen Lehrern direkt gegenüberzustehen und sie unmittelbar ansprechen zu können. Für Susan aber hatte das Fehlen einer Echtzeitverbindung in das planetare Netz zur Folge, dass sie nicht einmal die normalerweise üblichen elektronischen Freundschaften mit Gleichaltrigen eingehen konnte. Sie hatte einige Freunde auf Unicorn-9 und Unicorn-10, den nächsten beiden Hauptmann-Habitaten, doch auch das waren Fernbeziehungen, und mehr gab es nicht für sie. Ranjit wusste daher, dass seine Schwester sich immer einsamer fühlte. Dass ihr großer Bruder sich zu wenig um sie kümmerte, konnte sie eigentlich nicht brauchen. Nur hatte er genau das getan. Als nun Mr. Gastelaars, der Verwaltungschef von Unicorn-11, einen Skiausflug nach Gryphon veranstaltete, hatte Ranjit den Eltern versprochen, Susan nicht aus den Augen zu lassen, wenn sie ihr erlaubten, ihn zu begleiten.
Gerade der Vater hatte Susan nur widerstrebend mitgehen lassen, und zwar aus drei Gründen. Erstens war sie die jüngste Schülerin auf dem Ausflug und noch nie so lange allein von zu Hause fort gewesen. Zweitens stammten die Hibsons von Manticore, dem Hauptplaneten des Sternenkönigreichs, einer warmen Welt, auf der sich nur wenig Möglichkeiten zum Skifahren boten. Als die Hibsons nach Unicorn-11 versetzt wurden, war Susan noch blutige Anfängerin gewesen (wenngleich sie schon Schnee zu Gesicht bekommen hatte). Seitdem hatte sie kaum Übung erhalten. Kalindi Hibson befürchtete nun, dass seine durchsetzungsstarke Tochter vor dem Skilehrer standhaft behaupten würde, erfahrener zu sein, als sie tatsächlich war, und ihr Bruder würde sie wohl kaum daran hindern können. Und drittens gingen alle Freunde Ranjits mit, einschließlich Monica Gastelaars, der bezaubernd schönen Tochter des Verwaltungschefs, die zufällig ebenfalls siebzehn war, sodass man sich ernsthaft fragen musste, wie viel seiner wertvollen Zeit Ranjit wirklich
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