Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
auf seine Schwester verwenden würde.
Die Mutter hingegen hatte sich auf Ranjits und Susans Seite gestellt. Lieseil Hibson war der festen Überzeugung, Susan sei alt genug für den Ausflug, und führte an, dass die Gruppe von sechs Erwachsenen begleitet werde, von denen die meisten beruflich mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu tun hätten und ohne Ausnahme erfahrene Skiläufer seien. Außerdem war man in Athinai, dem größten und bekanntesten Skiurlaubsort auf Gryphon (also im ganzen Manticore-System) an Schulausflugsgruppen gewöhnt. Hauptsächlich aus diesem Grunde war die Wahl auf Athinai gefallen, und das Hauptmann-Kartell hatte dafür gesorgt, dass ganztätig Skilehrer zur Verfügung standen, erfahrene junge Leute, die die Jugendlichen an den Hängen im Zaume halten würden. Bei so vielen Betreuerveteranen müsse selbst ihre erfindungsreiche Tochter scheitern, meinte Liesell Hibson. Wenn nicht, dann müssten sie sich sowieso etwas überlegen, wie sie Susan in Zukunft schützen könnten – zum Beispiel, indem sie das Mädchen in ihrem Zimmer einschlossen, bis sie zwanzig werde. Außerdem habe Susan eine Chance verdient, andere Kinder in ihrem Alter kennen zu lernen. Am Ende erwirkte Lieseil Hibson die Erlaubnis ihres Mannes dadurch, dass sie Ranjit das Versprechen abnahm, sich durch seine eigenen Interessen nicht von Susan ablenken zu lassen. Er hatte ihr sein Wort geben müssen und dabei eine gewisse Niedergeschlagenheit empfunden, denn erst während dieses Gesprächs hatte er begriffen, dass er insgeheim ein bisschen weniger Zeit mit seiner Schwester hatte verbringen wollen, als er seinen Eltern (und sich selbst) weiszumachen versuchte.
Und so kam es, dass er in verkrampfter Haltung aus Susans Fenster blickte und sich innerlich ohrfeigte, sie in ihrer Freude unter die kalte Dusche gestoßen zu haben.
»Ich meine, sie sehen genauso aus wie die auf meiner Seite«, sagte er nun und wedelte mit der Hand nach den Bergspitzen hinter dem Armoplast. Mit seinem Tonfall entschuldigte er sich für die Abweisung. »Klar, sicher sind sie sensationell, aber –«
»Ich meine doch gar nicht die Berge «, unterbrach Susan ihn. »Guck doch! Siehst du die Pinassen denn nicht?«
»Pin …?«
Ranjit schnallte sich los, überquerte den Gang und kniete neben Susans Sitz nieder, um besser durch ihr Fenster sehen zu können. Erstaunt zog er die Brauen hoch. Sie hatte Recht. Dort oben flogen Pinassen – sechs Stück, und alle mit Hoheitsabzeichen der Navy. Anscheinend knapp unterhalb der Schallgeschwindigkeit schossen sie in die entgegengesetzte Richtung. Sie hatten die Tragflächen fast ganz zurückgepfeilt, und unter ihnen flitzten ihre Schatten über die schneebedeckten Gipfel.
»Was machen sie denn da?«, wunderte er sich laut.
»Sie üben eine Raumlandung«, antwortete Susan wie aus der Pistole geschossen. Sie fügte kein – hörbares – ›was sonst‹ hinzu; Ranjit vernahm es aber trotzdem und warf ihr einen Seitenblick zu, der ein ironisches ›aber sicher‹ signalisierte, dann betrachtete er weiter die Pinassen.
Nun konnte er mehr Einzelheiten an den schlanken Beibooten erkennen, die auf ihn einen aggressiven Eindruck machten. Sein Puls beschleunigte sich ein wenig, als er sie über die Bergspitzen hinwegrasen sah. Auf genauem Gegenkurs zum Flugbus, aber mit beträchtlich größerer Höhe über den vier- bis fünftausend Meter aufragenden Felswänden folgten die Pinassen der Längsachse des Tals. Sie klammerten sich enger an das Landschaftsprofil, als es ihnen bei rein aerodynamischem Flug möglich gewesen wäre: Wie Tennisbälle hüpften sie über die Erhebungen. Ranjit war sich fast sicher, dass sie dazu ihre Kontragravs bis an die Belastungsgrenze beanspruchten, und als er sich ausmalte, wie es den Insassen dieser Pinassen ergehen musste, drehte es ihm fast den Magen um. Nun hatten weitere Mitglieder der Skigruppe die Pinassen entdeckt, und er hörte, wie sie sich ebenfalls über sie kleinen Schiffe wunderten. Plötzlich drehten die Pinassen ab und flogen ins Tal hinein. Ihr Flugweg schnitt die Bahn des Busses weit achteraus, doch der Buspilot hatte die Pinassen offensichtlich geortet und beschlossen, seinen jugendlichen Passagieren eine Freude zu machen. Er drehte den Bus bei und ließ ihn auf der Stelle schweben, wodurch sich ein großartiger Blick auf die ganze Breite des tiefen, schmalen Flusstales erschloss, bei dem man auch den Pinassenschwarm gut im Auge behalten konnte.
Nein, bemerkte
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