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Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx

Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx

Titel: Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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Bauchmuskeln an. Versprochen.«
    Er rang sich ein Lächeln ab. Zum Glück wusste er nicht, wie käsig-weiß er im schwachen Notlicht aussah. Susan hingegen wusste es sehr wohl und starrte ihn etliche Sekunden lang zweifelnd an. Sein atemloser Aufschrei bei dem Versuch, sich aus eigener Kraft zu bewegen, ging ihr nicht aus dem Sinn, und es drehte ihr den Magen um, wenn sie sich vorstellte, dass sie ihm womöglich noch größere Qualen bereiten würde. Doch zugleich war ihr klar, wie sehr sie sich wünschte – wie nötig sie es hatte –, dass ihr großer Bruder den Befehl ergriff und ihr die Last der allein getroffenen Entscheidung von den Schultern nahm. Als sie dies erkannte, verachtete sie sich sogleich selbst, weil sie wollte, dass der schwerverletzte Ranjit ihr die Entscheidungen abnahm. Trotzdem, er war anderthalbmal so alt wie sie, und ohne seine Hilfe konnte sie einfach nicht über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Susan war bis ins Mark verängstigt und kämpfte sehr darum, es sich nicht anmerken zu lassen.
    »Also schön«, sagte sie schließlich. »Aber du überlässt das Anheben mir, Ranjit! Hast du verstanden?«
    »Jawohl, Ma’am«, antwortete er fast unbeschwert und rang sich wieder ein Lächeln ab.
    »Na gut«, sagte sie und nahm eine andere Haltung ein, sodass sie beide Hände unter seine Schultern bekommen konnte. Er war viel größer und schwerer als sie, aber Susan nahm seit mehr als einem Jahr am Wahlpflichtfach Kampfsport teil, das Csilla Berczi unterrichtete. Damit wollte Susan sich auf ihre Laufbahn als Marineinfanteristin vorbereiten. Zum ersten Mal profitierte sie nun wirklich von ihrem Training. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich auf ihre Atmung und versenkte sich in ihr Vorhaben. Dann zog sie Ranjit mit einer Kraft, die sie sich nie zugetraut hätte, und in einer einzigen glatten Bewegung in eine Sitzhaltung empor.
    Ranjit riss die Augen auf, als er von den winzigen Händen gehoben wurde. Er hatte versprochen, seine Muskeln nicht einzusetzen; insgeheim war er sich jedoch im Klaren gewesen, dass er es trotz der zu erwartenden Schmerzen nicht würde vermeiden können – zumindest glaubte er, dass er beim Anspannen der Schenkelmuskulatur große Schmerzen empfinden würde. Doch er hatte sich geirrt. Susan half ihm schier mühelos hoch, und dann kniete sie hinter ihm nieder und stützte ihn. Ihre Hände ließ sie auf seinen Schultern ruhen und umarmte ihn dann fest.
    »Danke, Sooze«, sagte er. Dann erblickte Ranjit den Überrest der Kabine und rang entsetzt nach Luft.
    Die Kabine war zerschmettert. Sie war nie für Belastungen ausgelegt gewesen wie die Gewalt, die sie nun getroffen hatte. Die eine Seite war zerknüllt wie ein Papiertaschentuch. Durch die zerborstenen Crystoplastfenster hatte sich der Schnee in die Kabine ergossen, und Ranjit mochte den riesigen Ast oder Baumstamm gar nicht anblicken, der die Liftgondel auf der einen Seite wie ein Rammbock aufgespießt hatte. Zermalmte, leblose Leiber markierten den Weg, den er genommen hatte. Wenigstens drei Tote , dachte Ranjit, aber es könnten genauso gut mehr sein. Er sah einfach zu viel Blut und Verstümmelung, als dass er etwas mit Bestimmtheit hätte sagen können.
    Ungläubig schaute er um sich. Außer Susan und ihm waren über zwanzig Menschen in der Kabine gewesen. Irgendjemand musste doch noch leben!
    Als hätte sein Gedanke es heraufbeschworen, bewegte sich neben dem Baumstamm schwach eine Hand.
    »Sooze! Hast –«
    »Ich hab’s gesehen«, antwortete sie, bevor er die Frage beenden konnte.
    »Du musst hinkriechen und nachsehen«, sagte er.
    »Aber …« Susan schluckte und klammerte sich mühsam an die innere Kraft, die sie heraufbeschworen hatte, um Ranjit anheben zu können. Wenn sie sich bewegte, müsste Ranjit sich von allein aufrecht halten – konnte er das, wo der Wagen so schräg lag? Das wäre schon schwierig genug. Aber sie, sie müsste zu dem Baumstamm kriechen. Zu den zerschundenen Leibern und dem Blut. Eine schreckliche Aussicht, und am liebsten hätte sie gekreischt und sich geweigert. Dann der Gedanke, wem diese Hand gehörte – die Wunden, die sie erblicken müsste, das Sterben, das sie weder verhindern noch erleichtern könnte – all das brüllte ihr zu, sich ihrem Bruder zu widersetzen. Aber das konnte sie nicht.
    »Du brauchst mich, ich muss dich stützen«, sagte sie.
    »Dann such etwas, woran ich mich lehnen kann«, entgegnete er und stellte die Hände hinter sich auf den bizarr geneigten Boden.

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