Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
hing im Westen über dem Horizont. Der kühle Abendwind seufzte in den glänzenden grünen Blättern, und die tiefen Schatten verschleierten die Gesichtszüge der beiden Personen, doch waren am Kragen der Frau die Rangabzeichen eines Commander in der Royal Manticoran Navy zu erkennen.
»Ich muss schon bitten, Anna!« Der elegante Herr fing den Chip mit verächtlicher Lässigkeit. »So spricht man wirklich nicht mit jemandem, der Sie so gut für Ihre Dienste bezahlt.«
»Bezahlt? Was haben Sie mir bezahlt?« Der Commander sprach mit belegter Stimme, und ihre an der Seite herunterhängende Faust zitterte. »Keinen gottverdammten Cent habe ich von Ihnen genommen!«
»Ach? Nun, das wohl nicht«, gab ihr Gegenüber zu. »Doch gibt es außer Geld nicht noch andere Währungen, Anna? Wie etwa Schweigen? Ja«, sagte er sinnend, »Schweigen kann sehr wertvoll sein, oder nicht? Besonders Schweigen, das jemandem wie Ihnen ermöglicht, weiterhin der Krone zu dienen, statt auf einem Gefängnisasteroiden zu versauern. Oder erschossen und begraben zu werden, wenn das Kriegsgericht sich als besonders rachlüstern erweist. Bestechungen von Zulieferern anzunehmen ist eine Sache, aber sich auf dem Schwarzmarkt Material zu beschaffen, das den Standards nicht genügt und den Tod von – wie vielen? Sechzig? – Ihrer Navykameraden verursacht … Nun ja …« Er schnalzte mit der Zunge.
Die Frau zuckte unter der Wut zusammen, die in ihr kochte. Aber zum Teufel, der Kerl hatte Recht! Er brauchte nur dem richtigen Ohr einen Hinweis zuzuflüstern, und ihre Laufbahn, ihre Freiheit und vermutlich auch ihr Leben gehörten der Vergangenheit an.
Aber der Schlaumeier vergisst wohl die andere Seite der Medaille , sagte sie sich grimmig. Klar kann er mein Leben ruinieren, aber ich kann mich bei ihm revanchieren, und wenn ich als Kronzeuge auftrete, um einen verdammten Herzog wegen Hochverrats dranzukriegen, dann gehe ich am Ende vielleicht sogar straffrei aus .
Eingedenk dessen gelang es ihr, sich zu beherrschen, und sie atmete röchelnd durch.
»Sie haben, was Sie wollten«, entgegnete sie tonlos, »und ich hoffe, es nutzt Ihnen nichts. Ich könnte die Verschlüsselung jedenfalls nicht knacken.«
»Solange es nur die richtige Datei ist.« Die Stimme des eleganten Mannes klang überhaupt nicht mehr träge, und bei seiner plötzlichen Kühle empfand der weibliche Commander mit einem Mal Furcht.
»Sie haben die Datei, die Sie wollten – mehr kann ich Ihnen darüber nicht sagen«, sagte sie. »Mehr könnte Ihnen keiner über eine Blaue Datei sagen, ohne den korrekten Schlüssel zu besitzen.«
Der elegante Herr schien über ihre Worte nachzudenken, dann nickte er langsam, und sie entspannte sich ein wenig. Offenbar würde er ihr wenigstens ein kleines Stück entgegenkommen. Blaue Dateien enthielten die geheimsten aller militärischen Informationen. Sie wurden mit den besten Verschlüsselungsalgorithmen kodiert, die dem Sternenkönigreich bekannt waren, und die Dateinamen bestanden aus zufällig erzeugten Abfolgen von Buchstaben und Ziffern; damit wollte man Benennungen vermeiden, die unbeabsichtigt einen Hinweis auf ihren Inhalt verrieten. Der Commander wusste daher nur, dass diese spezielle Datei ›A1108G7Q23‹ hieß und aus dem Datenbestand des King’s Own Regiment stammte. Und mehr wollte sie auch gar nicht darüber erfahren.
»Dann werde ich mir wohl einen Schlüssel suchen müssen«, sagte der elegante Herr und lächelte. »Sie wüssten nicht zufällig, wo ich ihn finden kann, Anna, oder?«
»Nein, das wüsste ich nicht«, erwiderte sie kurz angebunden.
»Wie schade. Nun gut. Vielen Dank für Ihre Mithilfe. Wenn ich weitere kleine Gefallen benötigen sollte, melde ich mich.«
Er hob die Hand und winkte mit den Fingern mehr als eine Geste des Abschieds – er verscheuchte sie. Sie biss die Zähne zusammen, wandte sich ab und ging.
Soll das Schwein sich doch amüsieren , dachte sie giftig. Dem spuck’ ich schon noch in die Suppe.
Sie lächelte dünn in die abendliche Dämmerung. Riskant war ihr Vorhaben schon, und sie steckte bis zum Hals mit drin. Doch bald schon wäre die Akte mit den Forderungen ihres ›Stammkunden‹, die sie im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte, dick genug.
Noch ein paar Monate , dachte sie und nickte dem Posten vor dem Löwentor des Palasts knapp zu, anstatt zu salutieren. Dann wandte sie sich nach links und folgte mit langen Schritten, die ihren Groll verrieten, dem Bürgersteig.
Noch ein paar
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