Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
vielleicht als absurd abgetan. Obwohl alle wussten, wer sie da warnte, verharrten sie wertvolle Sekunden lang in Unglauben. Dann gewannen ihre anerzogenen Reaktionen die Oberhand, und Taktische Offiziere an Bord der Geleitboote richteten die Sensorantennen in die genannte Richtung und suchten dort hektisch den Weltraum ab, während ihre Nahbereichs-Abwehrwaffen von Betriebs- auf Feuerbereitschaft schalteten.
Doch sie fanden die Ziele nicht! Dort war nichts … außer …
»Nun, Alf?«, fauchte Lieutenant Hines, und der Taktische Offizier zuckte mit den Schultern.
»Skip, ich kann die Dinger nicht sehen!«, rief Willis verzweifelt. »Ich … Moment!« Er schlug auf eine Taste und fluchte wild. »Eine Sekunde lang dachte ich, ich hätte ihn, Skipper, aber der Impuls ist einfach zu schwach … das ist wirklich nur ein verdammter Geist ! Ich kann das Ding einfach nicht stabil erfassen!«
»Scheiße!« Hines funkelte seinen Plot an, dann wandte er sich an den Rudergänger. »Rücken Sie dem Hundesohn auf die Pelle, der sie abgefeuert hat, Allen«, befahl er mit zusammengebissenen Zähnen.
Honor schwang die Candless herum, sodass die Bugsensoren auf die Geister gerichtet waren, ohne dass der Impellerkeil die Ortung störte. Ihr starkknochiges Gesicht erstarrte zur Maske, die wie aus Stein gemeißelt erschien, als ihre Ortung die Erfassung dennoch nicht aufrechterhalten konnte. So etwas hatte sie noch nie gesehen. So etwas hatte sie sich nicht einmal vorstellen können. Nicht bei einer Rakete, die ganz offensichtlich dem Angriff diente. Die Bogeys kamen nur sehr langsam heran, mit einer Beschleunigung, die eher zu Langstrecken-Aufklärungsdrohnen gepasst hätte. Offensichtlich besaßen sie nachhaltige Stealth-Eigenschaften, um ihre mit niedriger Leistung betriebenen Impeller zu tarnen. Die Candless stand nur wenige hundert Kilometer vom Seitenrand des Impellerkeils der Grayson One entfernt, daher besaßen ihre Sensoren nun wahrscheinlich einen besseren Blickwinkel als die Ortungsgeräte der LACs. Die einkommenden Raketen zielten offenbar auf eine der Jachten … oder sogar auf beide. Selbst auf direkter Sichtlinie ließen sie sich jedoch nicht erfassen, obwohl die Bugsensoren der Candless auf die am leichtesten zu entdeckende Stelle ihrer Impellerkeile gerichtet waren. Und die stabile Erfassung des Beschusses war die Grundvoraussetzung für eine wirksame Nahbereichsabwehr.
Honor drückte weitere Tasten und leitete die Ergebnisse ihrer Ortung direkt an das Befehlsboot weiter. Ihre Gedanken überschlugen sich.
Es musste sich um eine Art eigens umgebauter Drohne handeln. Sonst war nichts so langsam und so ausdauernd. Aber woher kam sie? Die Allianz verfügte über nichts Vergleichbares, und Haven genauso wenig. Wer also hatte die Lenkwaffen gebaut? Und wie kamen sie hierher?
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf und wischte diese unwesentlichen Fragen beiseite. Im Moment zählte nur, was diese Raketen waren und wie man sie aufhielt; woher sie stammten, war zweitrangig.
So gering ihre Beschleunigung verglichen mit herkömmlichen Raketen auch war: Sie lag viel zu hoch, als dass ein Schiff mit menschlicher Besatzung ihnen hätte davonlaufen können. Umso schlimmer, dass sie sich schleichend näherten, ohne irgendwelche aktive Zielerfassung zu betreiben. Das bedeutete, sie steuerten etwas an, das sie passiv aufspürten – und das hatten sie vermutlich schon seit ihrem Start getan. Aber wie? Sie waren außerhalb der Sphäre aus Geleitbooten gestartet, und ihr Kurs hatte sie auf weniger als fünfhundert Kilometer an eines der Schwesterschiffe der Intrepid herangeführt. Warum also hatten ihre Sucher nicht auf das LAC aufgeschaltet, sondern auf die Jachten? Ein LAC sah der Grayson One oder der Queen Adrienne zwar überhaupt nicht ähnlich, aber auf solch geringe Entfernung hätte seine Impellersignatur alle Emissionen der Jachten vollständig überdecken müssen. Zumindest hätten die Raketen kurzzeitig ihre Zielaufschaltung verlieren müssen. Sie wären gezwungen gewesen, sie wiederherzustellen, aber ganz offensichtlich war es dazu nicht gekommen.
Da sie völlig ohne eigene Ortungsemissionen einkamen, wurde es um Größenordnungen mühsamer, sie aufzuhalten. Die Lenkwaffen waren von sich aus schon sehr schwierig zu orten, und da aktive Emissionen völlig fehlten, erhielten die Raketenabwehroffiziere keinerlei Anhaltspunkte für eine Zielverfolgung. Sie sahen die Raketen nur flüchtig, als kurzes Aufflackern, dann
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