Honor Harrington 13. Ein neuer Krieg
Schmerz durchzuckte sie, den sie mit gelassener Miene vor den versammelten Kadettinnen und Kadetten verbarg, und sie verfluchte ihre innere Schwäche.
Eigentlich hätte sie eine der glücklichsten Frauen des Sternenkönigreichs sein müssen, sagte sie sich einmal mehr. Emily Alexanders Gegenangriff hatte High Ridges Schmutzkampagne aufgerollt wie einen Teppich, zumal die Königin hinter der Gräfin stand und kräftig mit anschob. Ein oder zwei der erbittertsten Nachrichtendienste und Kommentatoren setzten die Attacke fort, doch die allermeisten hatten die Anwürfe fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, kaum dass Emilys Intervention die Umfragezahlen praktisch über Nacht umgekehrt hatte. Die abrupte Gleichzeitigkeit, mit der die Kampagne von fast allen Teilnehmern abgebrochen worden war, hätte eigentlich jedem unvoreingenommenen Beobachter ins Auge springen müssen: als Zeichen dafür, dass die Kampagne von Anfang an sorgfältig koordiniert worden war. Nur ein Befehl von oben konnte so viele scharfe Stimmen gleichzeitig zum Verstummen bringen. Und nur ein Menschenschlag konnte seine Prinzipen in dem Moment, in dem sie unbequem wurden, mit solcher Eilfertigkeit über Bord werfen: ein Menschenschlag nämlich, der seine starken, auf Prinzipien beruhenden Bedenken von Anbeginn an vorgegaukelt hatte.
Doch obwohl der Angriff zurückgeschlagen war, hatte er noch in seiner Niederlage Narben hinterlassen. Die Öffentlichkeit auf Grayson zum Beispiel war noch immer empört, dass es überhaupt je zu den Attacken gekommen war. Darüber hätte sich Honor in jedem Fall gesorgt, doch nun hatten sich die oppositionellen Schlüssel im Konklave der Gutsherren darauf gestürzt und versuchten sie zu instrumentalisieren, um Benjamins IX. politische Macht zu beschneiden. Ihre fortgesetzten Angriffe auf die Manticoranische Allianz – oder genauer, ihr Infragestellen, ob es weise sei, dieser Allianz noch länger anzugehören – waren bereits sehr beharrlich gewesen, bevor die Bezichtigungen von Untreue je das Licht des Tages erblickt hatten. Die Opposition gegen die Allianz hatte sogar die Hinrichtung ihres Gründers, des Gutsherrn von Mueller, überlebt, und die unentschuldbare, hohlköpfige Arroganz, mit der die Regierung High Ridge ihre Verbündeten behandelte, hatten ihr seither einen gefährlichen Einfluss verliehen. Die gleichen Gutsherren nahmen die Angriffe auf Honor nun als willkommene Waffe, um ihre Argumente zu untermauern. Und der Umstand, dass die meisten von ihnen sie als Symbol der verhassten ›Mayhew-Restauration‹ verabscheuten, verschaffte ihnen nur eine bittere, ironische Genugtuung, wenn sie die Attacken zu ihren Gunsten einsetzten.
Das war übel genug. In seinen Briefen wies Benjamin zwar darauf hin, dass die Empörung mit der Zeit schon verschwinden werde, doch Honor kannte ihn zu gut. Zwar glaubte er das vielleicht wirklich, doch war er sich längst nicht so sicher, wie er sich in seinen Briefen an sie gab. Und selbst wenn er daran glaubte, Honor glaubte es nicht. Sie hatte sich immer und immer wieder gesagt, dass es um ihr Urteilsvermögen nicht sonderlich gut bestellt sei, wenn sie sich mit der Möglichkeit konfrontiert sah, dass man sie gegen ihre Freunde oder ihre Überzeugungen benutzen konnte. Sie hatte sich zu Gedächtnis gerufen, wie oft Benjamin die politischen und gesellschaftlichen Dynamiken besser beurteilt hatte als sie. Stunden hatte sie damit verbracht, politische Krisen und Skandale der Vergangenheit nachzulesen, von denen einige bis zur Erde vor der Diaspora zurückreichten. Sie hatte versucht, die Langzeitfolgen dieser Krisen herauszuarbeiten und Parallelen zu ihrer eigenen Situation zu finden. Nichts davon hatte irgendetwas beeinflusst, das wirklich eine Rolle spielte. Woran Benjamin auch glaubte, was immer sich auf lange Sicht als wahr erwiese: Auf kurze Sicht hatten Benjamins Gegner seinen Bemühungen, eine Allianz unter Einbeziehung Graysons zu erhalten, gewaltig geschadet. Wie die graysonitische Öffentlichkeit die Ereignisse in fünfzehn T-Jahren betrachtete, war völlig unerheblich, wenn der Planet sich in Kürze von der Allianz abspaltete und seine Beziehungen zum Sternenkönigreich beendete.
Doch so schrecklich dieses dräuende politische Desaster auch war, eine fast ebenso entsetzliche Katastrophe drohte Honor im Privatleben, denn Emily hatte Recht gehabt: Honors lange Beziehung zu Hamish war den Attacken zum Opfer gefallen, und zwar endgültig. Die Vorsicht – oder Feigheit
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