Honor Harrington 13. Ein neuer Krieg
versuchte, was er wirklich empfand!
Die Reihen des Hörsaals waren beinahe gefüllt, und Honor blickte auf das Zeitdisplay an der Wand. Noch neunzig Sekunden. Gerade lang genug für ein weiteres Abtauchen in ihr selbstmitleidiges Elend, sagte sie sich bissig.
Doch Selbstmitleid hin und her, vor der grimmigen Wahrheit, die dahinter steckte, gab es kein Entrinnen. Emily hatte ihr eine Atempause verschafft, das war alles. Freunde und Verbündete konnten sie vor Angriffen von außen verteidigen, aber nicht vor ihren inneren Schwächen und ihrer Verletzlichkeit. Niemand konnte sie davor schützen. Die einzige mögliche Reaktion, die ihr einfiel, bestand darin, Abstand zwischen sich und die Quelle ihrer Qualen zu bringen. Womöglich gelänge ihr das nicht auf Dauer, aber vielleicht doch lang genug, um zu lernen, mit ihrer Lage besser zurechtzukommen, als es momentan der Fall war. Und auch wenn sie es nicht lernte, brauchte sie trotzdem dringend eine Atempause, damit sie innehalten, Atem holen und neue Kraft sammeln konnte.
Nur nutzte ihr diese Erkenntnis nichts, sie konnte nicht Abstand von Hamish nehmen, ohne sich zugleich von den politischen Grabenkämpfen im Sternenkönigreich zurückzuziehen. Es sei denn, sie wollte jeden, ob Freund oder Feind, davon überzeugen, dass sie die Flucht antrat. Auch wenn nicht jeder alle Gründe für ihre Flucht kannte, blieb es doch das Gleiche: Der Schaden wäre angerichtet, besonders auf Grayson.
Wie also, fragte sie sich, sollte sie den geschützten Hafen finden, den sie so dringend brauchte, ohne dass es aussah, als ließe sie sich aus der Stadt jagen?
Ihr Armchrono piepte leise, und nach einem tiefen Atemzug stützte sie sich mit den Händen auf das traditionell polierte Holz des Katheders, während sie auf die respektvoll versammelten Kadetten blickte.
»Guten Tag, Ladys und Gentlemen.« Lady Dame Honor Harringtons Sopran ertönte klar und gelassen und gelangte mühelos an jedes Ohr. »Heute ist die letzte Vorlesung des Trimesters, und bevor wir damit beginnen, für die Abschlussprüfung zu rekapitulieren, möchte ich Ihnen sagen, welche Freude es mir bereitet hat, diesen Kurs zu unterrichten. Es war mir ein Vergnügen und ein Vorrecht und auch eine große Ehre. Ihr Engagement, die Art, in der Sie jede Herausforderung gemeistert haben, bekräftigt mir die Stärke und Intaktheit unserer Waffengattung und ihre Zukunft. Diese Zukunft sind Sie, Ladys und Gentlemen, und es stimmt mich außerordentlich zufrieden zu sehen, in welch guten Händen der Königin Navy und die Flotten unserer Verbündeten in Zukunft liegen werden.«
Schweigen folgte auf ihre Worte, tief und vollkommen, und die verletzten Ecken ihrer Seele entspannten sich ein ganz klein wenig, als die Gefühlsreaktion ihrer Kadetten wie eine Flutwelle auf sie einströmte. An dieses Gefühl klammerte sie sich aus tiefster Zerschlagenheit mit dem gierigen Verlangen eines durchgefrorenen, verhungernden Streuners, der unter dem Fenster einer warmen Küche kauert. Gleichwohl zeigte sich nichts davon in ihrem gelassenen Gesicht, mit dem sie die Kadetten betrachtete.
»Nun aber«, fuhr sie forscher fort, »haben wir sehr viel zu wiederholen und nur zwo Stunden Zeit dazu. Also, dann wollen wir mal, Ladys und Gentlemen.«
»Die Frau ist ein verdammter Vampir!«, knurrte der Baron von High Ridge und knallte den Ausdruck der letzten Meinungsumfrage auf die Schreibunterlage.
»Wer?«, fragte Elaine Descroix mit einem aufreizend gewinnenden Kleinmädchenlächeln. »Emily Alexander oder Harrington?«
»Beide -jede !«, fauchte der Premierminister. »Verflucht noch mal! Da denke ich, wir haben uns endlich von Harrington und White Haven erlöst, und plötzlich kommt White Havens Frau an – seine Frau , das muss man sich erst mal vorstellen! – und erweckt sie beide wieder von den Toten. Was müssen wir denn noch tun? Müssen wir ihnen den Kopf abhacken und Holzpflöcke ins Herz rammen?«
»Vielleicht wäre das genau das Richtige«, brummte Sir Edward Janacek, und Descroix gluckste leise. Obwohl sie lächelte, klang es nicht sehr angenehm.
»Vielleicht wäre es wirklich keine schlechte Idee, sie mit Weihwasser zu übergießen und bei Vollmond am Wegkreuz zu begraben«, sagte sie, und High Ridge schnaubte verächtlich. Dann blickte er die beiden anderen Anwesenden an.
»Ihr Vorschlag hat sogar noch besser funktioniert als ich gehofft hatte – auf kurze Sicht«, sagte er zu Georgia Young, ohne auch nur den Anschein
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