Honor Harrington 13. Ein neuer Krieg
meisten, wie das System funktioniert hatte, denn sie war eine offizielle Spionin Saint-Justs gewesen. Wie Dennis LePic hatte auch sie die Mission gehabt, laufend Bericht über die politische Zuverlässigkeit eines hohen Flaggoffiziers der Volksrepublik zu erstatten, direkt an Saint-Justs Büro. Schade für Saint-Just, dass ihre Berichte keine besonders große Ähnlichkeit mit der Realität besessen hatten.
Sie hatte nie wirklich erwartet, dass sie und Bürger Admiral Javier Giscard – der Mann, den sie ausspionieren sollte und in den sie sich stattdessen zu verlieben erdreistet hatte – überleben würden. Sie hätten auch nicht überlebt, wenn Theisman nicht Saint-Just gestürzt hätte, bevor dieser Giscard liquidieren lassen konnte.
Seither hatten sie weit mehr erreicht als nur zu überleben. Pritchart war für Saint-Just als Volkskommissarin wichtig gewesen, weil sie vor der Revolution als eine der führenden Aprilisten unter dem Namen ›Brigade-Kommandeurin Delta‹ großes Ansehen genossen hatte. Die Aprilisten galten gemeinhin als die ›respektabelste‹ aller bewaffneten Umstürzlergruppierungen, die Widerstand gegen die Legislaturisten geleistet hatten. Vor allem waren sie die effizienteste gewesen, und ihr Ruf als Aprilistin hatte Pritchart ein Fluidum der Legitimität verliehen, das Saint-Just unbedingt in sein neu geschaffenes Amt für Systemsicherheit hatte einbringen wollen. Pritchart musste zugeben, dass sie sich genauso wie ihr Freund Kevin Usher hatte einbinden lassen. Zumindest nach außen hin. Ihr war klar gewesen, dass ihr keine andere Wahl blieb, wenn sie überleben wollte. Und schon damals, kurz nach dem Umsturz, hatte sie geahnt, dass ihre alten Aprilisten-Kameraden, die offen an ihren Idealen festhielten, früher oder später unauffällig verschwinden würden.
So war es tatsächlich gekommen – nur Pritchart hatte überlebt. Selbst jetzt plagte sie deswegen manchmal das Gewissen, doch auch in den schlimmsten Albtraumnächten wusste sie, dass jedes Schuldgefühl vollkommen irrational war. Ihr Verhalten hatte nicht nur ihr Überleben ermöglicht, sondern sie war dadurch gezielt in eine Position gekommen, in der sie auch andere, wie Giscard, retten konnte. Zwar wäre es edel und tapfer gewesen, standhaft für ihre Prinzipien einzutreten – aber auch unverzeihlich dumm. Pritchart hatte ihre Pflicht vielmehr darin gesehen, am Leben zu bleiben, um für diese Prinzipien – gleichwie insgeheim – zu kämpfen , und genau das hatten Giscard und sie getan.
Irgendwann wären sie trotzdem enttarnt und hingerichtet worden, hätte nicht Theisman vorher Saint-Just gestürzt. Und genau wie Saint-Just ihren Ruf als Aprilistin als nützlich für die Systemsicherheit betrachtet hatte, wollte auch Theisman sich diesen Ruf zu Nutze machen. Theisman hatte jemanden – irgendjemanden – gebraucht, an den er das Amt des Staatsoberhaupts weiterreichen konnte. Nach Pritcharts Schätzung hatte es in der gesamten Volksrepublik höchstens sechs Menschen gegeben, die Theisman glaubten, dass er diese Position wirklich nicht für sich selbst wollte. Sogar sie selbst hatte ihm das anfangs nicht geglaubt. Andererseits hatte sie ihn auch kaum gekannt, bevor er sie und Giscard zusammen mit den Resten der 12. Flotte ins Haven-System zurückbeorderte, um seine Zentralflotte zu stärken.
Nur weil Theisman in der Volksflotte von je den Ruf genoss, keinerlei politische Ambitionen zu besitzen, hatten Giscard und Bürger Vizeadmiral Lester Tourville – die ihn im Gegensatz zu Pritchart seit Jahren gut kannten – sie davon überzeugen können, seinem Ruf zu gehorchen. Als sie Theisman gegenübertraten, waren sie alle drei außerordentlich nervös gewesen – obwohl die Raumoffiziere ihn gut kannten. Doch als Theisman eröffnete, er wünsche, dass Pritchart die zivile Übergangsregierung bilde, hatte es ihr vor Verblüffung im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen.
Theismans Wunsch war natürlich nicht auf sein etwaiges Desinteresse zurückzuführen. Augenblicklich hatte Pritchart begriffen, wie nützlich sie ihm als Galionsfigur wäre. Schließlich hatte sie in dieser Eigenschaft bei Saint-Just schon große Erfahrungen sammeln können. Und sie war realistisch genug gewesen, um sich selbst einzugestehen, dass auf Theismans Schultern eine bedrückende Verantwortung lastete: den völligen Zerfall der Volksrepublik zu verhindern. Aufgrund dieser Verantwortung musste er nach jedem Strohhalm greifen. Wenn sie eine
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