Honor Harrington 13. Ein neuer Krieg
tiefer in Honor zu dringen und offen nachzuhaken, denn wenn sie Honor nicht danach fragen konnte, wer dann? Doch leider brachte sie es nicht über sich, daher lehnte sie sich nur in ihren Sessel zurück und nickte.
»Das stimmt mit dem überein, was Mama auch gesagt hat«, entgegnete sie schließlich. »Und ich fürchte, sie war der Meinung, ich sollte genug über die aktuellen Geschehnisse wissen, um sie zu verstehen, ohne dass sie mir alles häppchenweise darlegen muss – wie du es gerade für mich getan hast.« Sie zuckte mit den Schultern. »Manchmal glaube ich, sie hat nie bemerkt, wie oft ich derartige Angelegenheiten Cal überlassen habe. Ich hatte viel zu viel mit der Navy zu tun.«
Eine trauervolle Erinnerung zog durch Henkes Gesicht, doch sie verbannte sie rasch und zwang sich zu einem schiefen Lächeln.
»Jetzt, wo du es mir erklärt hast, begreife ich allerdings, was du mit ›historischen Geboten‹ meinst. Ich finde aber noch immer, dass Beth' Hitzigkeit ihr keinen Gefallen getan hat.«
»Nein, bestimmt nicht«, pflichtete Honor ihr bei und blickte in einer Stimmung von ihrem Schoß voller Baumkatzen auf, die vielleicht Erleichterung sein mochte. »Selbst wenn ihr Verhalten sonst keine Auswirkungen hat, steht für High Ridge, New Kiev und Descroix persönlich einiges auf dem Spiel. Doch von dem Augenblick an, in dem der Herzog von Cromarty und dein Vater ermordet wurden, war es fast unausweichlich, dass wir an den Punkt gelangen, an dem wir jetzt sind. Allerdings konnte keiner ahnen, was in der Volksrepublik geschehen würde, während wir uns mit unseren innenpolitischen Streitereien befasst haben.«
»Das kannst du laut sagen«, stimmte Henke ihr düster zu und neigte den Kopf. »Glaubst du, Theisman und Pritchart begreifen besser als ich, was bei uns vorgeht?«
»Das hoffe ich doch sehr«, entgegnete Honor trocken.
2
»Was zum Teufel haben die denn bloß vor?« Eloise Pritchart fauchte die Frage beinahe.
Die Präsidentin der Republik Haven nahm den Chipordner auf und schüttelte ihn zornig in Thomas Theismans Richtung, als er ihr Büro betrat. Ihre Miene spiegelte ihren Zorn so deutlich wider, dass der Kriegminister der Republik überrascht die Augenbrauen hob. Die platinblonde Präsidentin mit den topasfarbenen Augen war vielleicht die schönste Frau, der er je begegnet war. Tatsächlich gehörte sie zu den wenigsten Menschen, die sogar mit einem wutverzerrten Gesicht noch gut aussehen. Andere sahen sie allerdings nur selten derart aufgebracht, denn einer ihrer größten Vorzüge bestand darin, selbst angesichts ungeheuren Drucks die Fassung bewahren zu können. Dieses Talent war unter der Schreckensherrschaft von Oscar Saint-Just und seines Amts für Systemsicherheit für ihr Überleben unverzichtbar gewesen. Im Augenblick jedoch war davon nicht sehr viel zu spüren.
»Was hat wer vor?«, fragte Theisman milde und ließ sich in einen der bequemen Sessel sinken, die vor ihrem Schreibtisch standen und ihren Besuchern einen atemberaubenden Ausblick auf die Innenstadt von Nouveau Paris boten. Die Arbeiten zur Wiedererrichtung der Türme, die Saint-Just durch die Zündung der Atombombe unter dem Oktagon vernichtet hatte, waren beinah abgeschlossen, und Theismans Augen richteten sich fast automatisch auf das funkelnde Neue Oktagon.
»Die verdammten Mantys, wer sonst!«, versetzte Pritchart mit unkaschierter Giftigkeit, durch die sie seine volle Aufmerksamkeit zurückerlangte. Sie schmiss den Ordner auf den Schreibtisch. Die ID-Zeichen auf dem Ordner verrieten Theisman, dass es sich um amtliche Dokumente des Außenministeriums handelte. Er verzog das Gesicht.
»Ich darf also annehmen, dass sie auf unsere jüngsten Vorschläge nicht angemessen reagiert haben«, stellte er in gleich bleibend mildem Tonfall fest.
»Sie haben überhaupt nicht reagiert! Als hätten wir ihnen nie die Papiere vorgelegt, in denen wir unsere Position darlegen.«
»Es ist ja nicht so, als hätten die Mantys in den letzten Jahren alles pünktlich erledigt, Eloise«, sagte er. »Und seien wir ehrlich – bis vor kurzem war uns das sehr recht.«
»Ich weiß, ich weiß.«
Pritchart lehnte sich zurück, holte tief Luft und bat mit einer knappen Gebärde um Verzeihung. Sie entschuldigte sich nicht etwa für ihren Zorn auf die Manticoraner, sondern nur dafür, wie sie ihn sich hatte anmerken lassen. Wenn in der Galaxis jemand ein Recht hatte, nicht von ihr angefahren zu werden, dann Thomas Theisman.
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