Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
in aller Seelenruhe ihre Absicht bekunden, dem Schiff unterwegs die Eingeweide herauszureißen und neu zu verkabeln, das muss noch schlimmer sein. Bei dem bloßen Gedanken wären die meisten Frachterkapitäne vermutlich in Hysterie verfallen oder hätten sich mit einer Flasche in ihre Kajüte zurückgezogen. McLeod, ehemals Erster Offizier an Bord eines Zerstörers Ihrer Majestät, war aus einem härteren Holz geschnitzt.
Vielleicht würde er sich eine Flasche suchen, sobald er erfuhr, was genau sie herauszureißen gedachten.
Sandler wartete, bis der Konvoi im Hyperraum war, bevor sie Pampas, Swofford und Jackson auf die Impelleremitter losließ. McLeod hatte zu Cardones' gelinder Überraschung und stiller Bewunderung nicht nur die Beherrschung nicht verloren, er bestand sogar darauf, sich allen lebensgefährlichen Hochspannungsleitungen zum Trotze mit in den Impellerraum zu quetschen und ihnen bei der Arbeit zuzusehen.
Unterwegs an den Impelleremittern eines Schiffes zu arbeiten ließ sich in etwa damit vergleichen, den Motor eines Bodenwagens während der Teilnahme an einem Hindernisrennen umzubauen. Sandler räumte bereitwillig ein, dass ihr kein Fall bekannt sei, in dem jemand dergleichen schon einmal versucht hatte, wies aber auch darauf hin, dass dies allein noch gar nichts bedeute. Im Übrigen, appellierte sie etwa zweimal pro Tag an Captain McLeod, operierten Chirurgen ja auch routinemäßig an lebendigen offenen Herzen, ohne dass es Komplikationen gebe.
Andererseits war keiner ihrer Techniker für Operationen am offenen Herzen ausgebildet. Doch während die Tage vergingen und nacheinander neue Schaltkreisunterbrecher an den Impellerverteilern erschienen, milderte sich McLeods den herannahenden Untergang verkündende Miene ein kleines bisschen. Er ließ die Techniker immer häufiger arbeiten, ohne ihnen über die Schulter zu blicken, und verbrachte mehr Zeit mit seiner Crew und den dienstfreien ONI-Leuten in der Messe, wo er sie manchmal mit Geschichten aus seiner Zeit bei der Navy ergötzte.
Und da Cardones weder mit der Umrüstung noch dem täglichen Bordbetrieb irgendetwas zu tun hatte, war er einer der regelmäßigsten Teilnehmer an McLeods Geschichtsstunden. Die Erzählungen des Skippers waren höchst unterhaltsam, und Cardones hatte den Verdacht, dass zumindest das eine oder andere davon sogar wahr sein konnte.
Meistens aber dachte er an die Fearless .
Sandler hatte ihm vorher nicht gesagt, dass der Konvoi von seinem eigenen Schiff eskortiert wurde. Vielleicht war sie darüber selbst nicht informiert gewesen. Auf jeden Fall fügte dieser Umstand Cardones' Frustration und Angst nur eine neue Note hinzu.
Frustration, weil so viele von Cardones' Freunden sich innerhalb Comreichweite befanden und er ihnen dennoch nicht sagen konnte, dass er in der Nähe war. Der Auftrag war geheim, jeder Kontakt untersagt, und damit hatte es sich.
Angst, weil der Geleitzug in dem Fall, dass Sandlers Analyse zutraf, in Kürze angegriffen würde. Cardones war der Taktische Offizier der Fearless und sollte während eines Gefechts auf ihrer Brücke sein, aber ganz gewiss nicht an Bord eines Handelsschiffes, wo er so nutzlos war, wie ein Offizier der Königin nur sein konnte.
Und nutzlos war er. In der stillen Dunkelheit der Nacht setzte ihm das am meisten zu. Der Grund für seine Versetzung zum Technikteam Vier war Admiral Hemphills Annahme gewesen, die geheimnisvolle Waffe sei eine Variante ihrer geliebten Gravolanze. Nun, wo sie wussten, dass es sich anders verhielt, bestand für seine Anwesenheit kein Grund mehr. Sandler sollte der Sache ein Ende machen, ihn die Geheimhaltung beschwören lassen und zur Fearless hinüberschicken.
Doch genau das stand außer Frage. Sandler hatte ihre Befehle, und wie Captain Harrington wusste sie Befehle auszuführen. Cardones bliebe beim Technikteam, bis dessen Kommandantin eine neue Anweisung erhielt.
Die Umrüstung schien sich mit dem Tempo einer lethargischen Schnecke dahinzuschleppen, doch Cardones erkannte seine Wahrnehmung als die verzerrte Sicht eines Menschen, der zum Vorankommen der Arbeit nicht das Geringste beitragen konnte. Tatsächlich waren sie noch zwölf Stunden vor der Hypergrenze, als Pampas meldete, die Umrüstung sei abgeschlossen.
Und von da an hatten sie alle nichts weiter zu tun als abzuwarten.
»Die Nightingale ist draußen, Skipper«, meldete Venizelos, ohne den Blick von den Displays zu nehmen. »Rekonfiguriert die Segel
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