Honor Harrington 19. Der Schatten von Saganami
vorbeidriften. Solange sie weiterhin auf ballistischen Kursen schlichen, wären sie mit den technischen Möglichkeiten des Nuncio-Systems völlig unsichtbar, bis sie in die orbitale Sphäre des Planeten eindrangen. Die Hexapuma andererseits hatte einen soliden Messwert, wo die Schiffe ihre Keile gestrichen hatten, und wusste genau, welchen Teil des Weltraums sie überwachen musste. Der Kreuzer sollte also mithilfe seiner besonders stark getarnten Fernsonden feststellen können, was die Bogeys unternahmen, ohne dass diese irgendetwas davon bemerkten. Es wäre höchst einfach gewesen, die Sonden in Positionen zu lenken, von denen sie den vorhergesagten Kurs von Bogey-Eins und -Zwo beobachten konnten, um die erwiesenermaßen guten Stealth-Systeme der beiden Schiffe zu durchdringen. Schwierig wäre nur, dies mit lichtschnellen Steuerverbindungen zu tun. Es war unwahrscheinlich, dass die unbekannten Schiffe die überlichtschnellen Gravimpulse der Sonden bereits bemerkt hatten, denn der Abstand war noch immer sehr hoch und die Intensität der Impulse sehr gering. Die Signale der Hexapuma hingegen wären leichter zu entdecken gewesen, also verzichtete man auf überlichtschnelle Sendungen. Folglich wären die Daten, die der manticoranische Kreuzer erhielt, älter, aber trotzdem allem überlegen, was den Bogeys zur Verfügung stand. Oder was man Nuncio auf der Gegenseite zutraute ...
Der Erste Offizier lehnte sich in den Kommandosessel zurück und überlegte angestrengt. Der Frachter war der Joker im Spiel. Captain Terekhov hatte mit seinen Ressortoffizieren eine Reihe von Plänen diskutiert, was man unternehmen wollte, wenn einer oder zwei Piratenkreuzer eintrafen, doch keiner dieser Pläne hatte die Möglichkeit berücksichtigt, dass diese Piraten eine Prise mitbrachten. Die Piraten auszuschalten bedeutete bereits eine Menge Arbeit, doch es war möglich, dass sich von der ursprünglichen Besatzung des Frachtschiffes noch einige oder sogar alle an Bord befanden.
Der Gedanke, Handelsraumfahrer in Piratenhand zu belassen, wäre jedem Offizier der Königin ein Greuel gewesen, doch FitzGerald wollte verdammt sein, wenn er irgendeine Möglichkeit sah, diesmal darum herumzukommen. Trotz aller Qualitäten der Hexapuma und ihrer Crew konnte der Kreuzer nur an einer Stelle gleichzeitig sein, und er war das einzige befreundete Schiff im ganzen System, das ein Gefecht gegen die Piraten überstehen konnte. Zugleich war es auch das einzige befreundete hyperraumtüchtige Schiff im Nuncio-System, welches imstande war, das Handelsschiff zu verfolgen, wenn die Prisenmannschaft es in den Hyperraum brachte.
Ganz gleich, wie er auf den widerwärtigen Parametern des taktischen Problems herumkaute, Ansten FitzGerald sah keine Möglichkeit, beide Seiten der Gleichung aufzulösen, und einen schuldbewussten Augenblick lang war er dankbar, dass die Verantwortung dafür auf den Schultern eines anderen Mannes lag.
Er streckte die Hand aus und gab eine Comkombination ins Tastenfeld ein. Der Combildschirm erhellte sich mit dem Emblem der Hexapuma, dem zähnefletschenden Kopf desjenigen sechsgliedrigen sphinxianischen Raubtiers, nach dem der Kreuzer benannt worden war, und eine schmale Datenleiste zeigte an, dass der Anruf auf ein sekundäres Terminal umgeleitet worden war. Die Leiste blinkte auf, das Zeichen, dass der Ruf zwar angenommen worden war, aber nur mit Audioübertragung.
»Quartier des Kommandantenstewards, Chief Steward Agnelli«, sagte die Stimme einer Frau, die auf keinen Fall so hellwach sein konnte, wie sie klang.
»Chief Agnelli, hier spricht der Eins-O«, sagte FitzGerald. »Ich störe den Captain nur ungern so spät, aber es ist etwas vorgefallen. Ich fürchte, ich muss Sie bitten, ihn zu wecken.«
Aivars Terekhov warf einen letzten Blick auf den makellosen Offizier im Spiegel des Schlafzimmers, während Joanna Agnelli ihm eine mikroskopisch winzige Fluse von der Schulter bürstete. Sie sah auf, ihre braunen Augen begegneten im Spiegel seinem Blick, und ein Lächeln zuckte kurz um ihren Mund.
»Genüge ich den Anforderungen nun?«, fragte er, und ihr Lächeln kehrte breiter zurück.
»Oh, ich denke schon, Sir.«
Er musste sich noch immer an ihren sphinxianischen Akzent gewöhnen. Dennis Frampton, sein ehemaliger persönlicher Steward, war im Herzogtum Madison auf Manticore geboren worden und aufgewachsen, und seine Redeweise, weich und mit gerundeten Vokalen, hatte im scharfen Gegensatz zu der abgehackten Schärfe von
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