Honor Harrington 5. Im Exil
ihres Rückens zu verschwenden. Sie mußte sich auf den Schiffsbau konzentrieren und den Krieg nach Haven tragen. Und wie gewisse Kreise innerhalb von BuPlan immer wieder betonten, gäben diese neuen Sternenschiffe der Allianz die mobilste und flexibelste Möglichkeit in die Hand, um auf eine etwaige Gegenoffensive der Volksrepublik reagieren zu können.
Leider, erinnerte sich der Vizeadmiral säuerlich, konnte auch das mobilste Sternenschiff immer nur an einer Stelle gleichzeitig sein, und die zum Wachdienst abgestellten Einheiten standen der Operationsplanung de facto nicht mehr zur Verfügung. Schlimmer noch, gerade daß White Haven so tief in die Volksrepublik vorgedrungen war, bereitete mehr Mühen, denn die Allianz mußte nun noch mehr Volumen schützen. Während Stanton das auch der Belastung vorzog, die durch eine Umkehrung der Lage entstanden wäre, waren die manticoranischen Verbände an einigen Stellen doch recht dünn gesät.
Nicht zum ersten Mal hatte er diese Gedanken und verzog das Gesicht. Dann schlenderte er gemächlich zum Kommandosessel zurück. Er mußte der Schlußfolgerung White Havens zustimmen, daß diese Verzettelung wertvoller Wallschiffe der Allianz mehr schadete als sie Haven abschreckte. Manticore befand sich – wenigstens im Augenblick noch – in der Offensive, und White Haven brauchte alle Schiffe, die er nur bekommen konnte, um den Impuls nicht zu verlieren und die Initiative nicht aufgeben zu müssen. Die Admiralität sollte nicht länger in jedem winzigen System Detachements vergeuden und lieber größere Kräfte in Schlüsselpositionen massieren, die mehrere Sonnensysteme gleichzeitig schützten.
Minette war ein gutes Beispiel dafür, was mit der augenblicklichen Strategie der Navy nicht stimmte. KV M-01 war zwar stark genug, um Haven von jedem Gedanken an einen Hit-and-Run-Überfall abzuhalten, aber wenn die Volksrepublik mit etwas wirklich Kampfstarkem anrückte, würde Stanton den Angriff niemals aufhalten können. Mit weniger, aber stärkeren Verbänden, die ein größeres Raumgebiet überwachten, würden sich dagegen rasche und flexible Gegenangriffe starten lassen; so würde jede havenitische Aktivität im Rücken der Allianz zum Scheitern verurteilt und gleichzeitig würden Dutzende von Wallschiffen freigesetzt, mit denen White Haven der Volksrepublik zusetzen konnte. Und dann hätten die Havies ohnehin zuviel damit zu tun, das Herz ihres Reiches zu schützen, als noch in Hornissennestern im Rücken der Allianz herumstochern zu wollen.
Vizeadmiral Stanton seufzte kopfschüttelnd, dann stand er wieder auf und reckte sich. Es war spät, er war müde und hatte wahrscheinlich wieder zuviel Kaffee getrunken. Das erklärte seine schlechte Stimmung. Zeit, zu Bett zu gehen und zu hoffen, daß ihm nach einer durchschlafenen Nacht die Zukunft nicht mehr ganz so düster erschien.
»Erreichen Transitionspunkt in fünfundvierzig Minuten, S … – Bürger Vizeadmiral.«
Als der Operationsoffizier sich rasch korrigierte, unterdrückte Bürger Vizeadmiral Diego Abbot den Drang, eine Grimasse zu ziehen. Die einzigen Personen, die dieser Tage von Volksflotten personal noch mit »Sir« oder »Ma’am« angeredet werden durften, waren die Kommissare. Obwohl Abbot beileibe kein Legislaturist war, fand er doch, daß man es mit dem Egalitarismus auch zu weit treiben konnte. Militärische Disziplin setzte nun einmal ein gewisses Maß an Autokratie voraus, und er ärgerte sich einfach über die ständige Erinnerung an die Tatsache, daß er auf seinem eigenen Flaggdeck noch eine Vorgesetzte hatte. Besonders aber dann, wenn diese Vorgesetzte vor einem Jahr noch Lebenserhaltungssystemtechnikerin gewesen war (und keine besonders gute , erinnerte sich Abbot gehässig). Nicht, daß er etwa beabsichtigt hätte, Bürgerin Kommissarin Sigourney seine Ablehnung spüren zu lassen – immer vorausgesetzt, die Frau war überhaupt intelligent genug, um es zu bemerken.
»Vielen Dank, Sarah.« Wie viele Volksflottenadmirale hatte auch Abbot es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Offiziere mit dem Vornamen anzureden, statt sich mit ihnen auf das ›Bürgerspiel‹ einzulassen. Unter dem alten Regime hätte er solche Vertraulichkeit vermieden, aber Vornamen waren immer noch besser als die operettenhafte Förmlichkeit von ›Bürger Commander Hier‹ und ›Bürger Lieutenant Da‹. Außerdem trug er damit zu einer ›Wir-gegen-die‹-Mentalität bei, die es weniger wahrscheinlich machte, daß jemand aus
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