Honor Harrington 5. Im Exil
Aber vermutlich begreifen Sie nicht ganz, wie furchtbar dringend die Navy Sie braucht.«
»Furchtbar dringend?« Honor hob erneut die Augenbrauen, und der Admiral grinste ohne jede Belustigung über die ehrliche Überraschung in ihrer Stimme.
»Furchtbar dringend, Mylady. Überlegen Sie nur, wie klein unsere Navy vor unserem Beitritt zur Allianz gewesen ist. Sie waren hier, als Masada uns überfiel. Nur drei unserer Sternenschiffkommandanten überlebten, und dabei hatten wir von vornherein nie die Erfahrung mit modernen Waffensystemen und Taktiken, wie sie die manticoranische Navy als selbstverständlich voraussetzt. Wir haben uns gut geschlagen, glaube ich, aber außer Kommandanten mit beschränkter Erfahrung in der Piratenabwehr wie Mark Brentworth hat keiner unserer neuen Captains jemals während eines Gefechts den Befehl gehabt. Ihnen allen sind ihre neuen Pflichten noch sehr, sehr neu. Dazu kommt, daß wir uns plötzlich im Besitz einer Flotte finden, die größer als alles ist, wovon ein graysonitischer Offizier je auch nur zu träumen gewagt hätte. Bei uns spannt es an allen Ecken und Enden, Mylady, und das Gewebe wird schon fadenscheinig. Keiner meiner Offiziere – und auch ich nicht, ihr Oberbefehlshaber – besitzt auch nur einen Bruchteil Ihrer Erfahrung. Keinen Augenblick lang glaube ich, daß die RMN Sie noch lange am Boden lassen wird. So dumm ist die manticoranische Admiralität nicht, ganz gleich, wie verwickelt die Politik im Sternenkönigreich auch sein mag. Für uns ist überlebenswichtig, daß Sie, solange Sie noch bei uns sind, so viel von Ihrer Erfahrung weitergeben wie nur irgend möglich.«
Seine eindringliche Aufrichtigkeit war Honor nur zu deutlich bewußt, und sie runzelte die Stirn. Aus diesem Blickwinkel hatte sie die Lage noch nie betrachtet. Immer nur hatte sie gesehen, wie entschlossen die Graysons die Herausforderung bewältigten, die Kampfkraft zu vergrößern und die neuen Waffen zu meistern. Plötzlich wunderte Honor sich, daß sie nie darüber nachgedacht hatte, welch großen Kopfsprung ins Unbekannte das für die Graysons bedeuten mußte. Honor war in einer Flotte herangezogen und ausgebildet worden, die auf eine fünfhundert T-Jahre alte Tradition als interstellare Navy ersten Ranges zurückblicken konnte. Davon war sie geformt und geprägt worden; die Royal Manticoran Navy hatte sie mit Weltsicht und Selbstsicherheit versorgt, hatte ihr Helden zu Vorbildern und Fehlschläge zur Warnung gegeben sowie sie mit einem Grundstock an taktischem und strategischem Denkverhalten versorgt, auf dem sie ihre eigenen Ansichten gründen konnte.
All diese Vorteile fehlten der Grayson Space Navy. Die GSN war kaum zweihundert Jahre alt und vor Allianzzeiten nicht mehr als eine Systemverteidigungsflotte gewesen. Zu den Ressourcen eines institutionellen Gedächtnisses und einer Erfahrung, wie sie der RMN zur Verfügung stand, hatte sie niemals Zugang besessen. Und nun war diese Flotte innerhalb von weniger als vier T-Jahren in einen Krieg auf Leben und Tod verwickelt worden, welcher in einem Volumen tobte, das man mit »Hunderten von Lichtjahren« bezeichnete. Die GSN hatte sich auf eine mehr als hundertfache Stärke vergrößert, aber ihre Offiziere mußten sich bewußt sein, auf welch dünnen Eis sie sich bewegten, wie neu ihnen die Ansprüche und Verantwortlichkeiten waren, die plötzlich an sie gestellt wurden.
»Ich … habe noch nie darüber nachgedacht, Sir«, sagte sie nach langem Nachdenken. »Ich bin nur Captain. Ich habe mir immer nur Gedanken um mein eigenes Schiff, allenfalls um ein einziges Geschwader machen müssen.«
»Das weiß ich, Mylady, aber Sie haben schon einmal ein operatives Geschwader kommandiert. Von mir und Admiral Garret abgesehen ist kein einziger graysonitischer Offizier mehr am Leben, der solch eine Erfahrung aus der Zeit vor unserem Beitritt zur Allianz mit sich brächte. Nun haben wir elf Superdreadnoughts , die befehligt werden müssen, ganz zu schweigen von den leichteren Einheiten.«
»Ich verstehe.« Honor zögerte noch einen Augenblick, dann seufzte sie. »Sie wissen genau, auf welche Knöpfe Sie drücken müssen, nicht wahr, Herr Hochadmiral?« sagte sie, aber ihre Stimme klang amüsiert, nicht anklagend.
Matthews zuckte mit den Schultern und lächelte sie an, womit er ihre Frage stillschweigend bejahte.
»Also gut. Wenn Sie wirklich eine nicht mehr ganz taufrische Sternenschiffkommandantin brauchen, dann haben Sie sie wohl gefunden. Was wollen
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