Honor Harrington 5. Im Exil
sind Sie ›nicht mehr Sie selbst‹ gewesen – das wollten Sie doch sagen? Wie hätten Sie auch? Vor Ihren Augen ist sowohl Ihre private als auch ihre berufliche Zukunft in Trümmer geschlagen worden, dann hat man Sie in eine gänzlich anders geartete Gesellschaft verfrachtet, und nicht etwa als Touristin, sondern als Herrscherin. Unseren Glauben kennen Sie ja – daß Gott Sein Volk prüft und wir uns Seiner größten Prüfung, dem Leben, nur stellen können, indem wir alles nähren und entwickeln, was in uns steckt. Die Ihnen auferlegte Prüfung, Mylady, ist härter und fordernder gewesen als die meisten, von denen ich weiß, aber Sie haben sich ihr gestellt und sind wie immer an ihr gewachsen. Dabei haben Sie Mut bewiesen, wie jeder Grayson anerkennen muß, den Bigotterie und die namenlose Furcht vor Veränderungen nicht blind machen. Vielleicht erscheint es Ihnen auf dieser Station Ihres Lebens anders, aber ich bitte Sie inständig, verlassen Sie sich dieses eine Mal mehr auf unser Urteil als auf Ihr eigenes.«
Honor gab keine Antwort. Sie starrte ihm weiter in die Augen und konzentrierte jede einzelne Gehirnzelle allein auf seine ruhig ausgesprochenen Worte, die sie mit Hilfe ihrer Verbindung zu Nimitz abwog. Der ‘Kater saß ganz ruhig auf ihrer Schulter und vibrierte mit der Frequenz seines schwachen, kaum hörbaren Schnurrens. Honor spürte die Intensität seiner Anstrengung, ihr Matthews’ Emotionen absolut originalgetreu zu übermitteln.
»Sie sagen, Sie zweifeln an Ihrer Fähigkeit, über sich selbst zu gebieten«, fuhr der Hochadmiral fort. »Mylady, schon allein wie Sie Ihre Pflichten als Gutsherrin von Harrington verrichtet haben, stellt den besten Beweis dafür dar, daß Sie dazu in der Lage sind. Sie haben Ihr Gut in kürzester Zeit weiter gebracht als es in unserer ganzen Geschichte je jemandem gelungen ist. Ich weiß, daß Sie Hilfe dabei hatten, daß Lord Clinkscales ein herausragender Regent ist und der Einfluß der neuen Technologien Ihnen einen Vorteil verschafft hat, den kaum je ein anderer Statthalter besaß, aber Sie haben die Möglichkeiten ergriffen , die sich Ihnen boten. Und als haßerfüllte und angstvolle Männer Sie angegriffen haben, weil Sie sind, wer Sie sind, haben Sie sich von ihnen weder von Ihrer Pflicht abbringen lassen noch sie in unzulässiger Weise attackiert. Im Gegenteil haben Sie sich, ganz gleich wie verletzend Sie angegriffen wurden, stets und in jeder Weise verantwortlich verhalten. Ich sehe überhaupt keinen Grund zu glauben, daß Sie sich in Zukunft jemals anders verhalten werden – und ich glaube nicht einmal, daß Sie wissen , wie man unverantwortlich agiert.«
Noch immer antwortete Honor mit keiner Silbe, aber Matthews’ Aufrichtigkeit drang über Nimitz in sie. Er glaubte an seine Worte. Vielleicht lag er falsch, aber was er gesagt hatte, diente nicht einfach nur dem Zweck der Argumentation, und es handelte sich auch nicht bloß um höfliche Floskeln, mit denen er ihr weismachen wollte, sie sei noch immer eine ganze Person.
»Ich …« Sie räusperte sich und wandte den Blick ab; damit brach sie die Intensität des Augenblicks. »Vielleicht haben Sie recht, Sir«, fuhr sie nach kurzem Zögern fort. »Ich würde gern glauben, daß Sie recht haben. Vielleicht glaube ich es sogar, und eigentlich spricht etliches dafür, wieder in den Sattel zu steigen.« Wieder verstummte sie und gestattete sich ein schmales, aber herzliches Lächeln, über das sie selbst überrascht war. »›Wieder in den Sattel steigen‹«, wiederholte sie sinnend. »Wissen Sie, ich habe diese Phrase mein Leben lang benutzt, und dabei bin ich keinem Pferd auch nur auf hundert Kilometer nahegekommen.« Sie riß sich zusammen, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme forscher, frischer und normaler.
»Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß ich die Gutsherrin von Harrington bin. Ist es denn wirklich wichtiger, daß Sie eine zusätzliche Kommandantin bekommen – besonders eine, die, ganz egal, was wir beide glauben, ihrer Verantwortung vielleicht doch nicht gewachsen sein wird – oder ist es wichtiger, daß ich mich weiterhin meinen hiesigen Aufgaben widme?«
»Mylady, Lord Clinkscales hat bereits unter Beweis gestellt, daß er während Ihrer Abwesenheit das Gut zu leiten vermag. Wo immer Sie sich im Jelzin-System befinden, sind Sie doch nie länger als wenige Signalstunden von ihm getrennt. Daher brauchten Sie Ihre Verantwortung dem Gut gegenüber nicht zu vernachlässigen.
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