Honor Harrington 5. Im Exil
selbstverständlich frei, aus Graysons Dienst auszutreten, Mylady. Und um Ihr Argument wenigstens zum Teil zu widerlegen, möchte ich darauf hinweisen, daß Manticore aus Tradition immer wieder Offiziere zur Unterstützung verbündeter Mächte abkommandiert. Auch uns ist bereits eine große Anzahl von Flottenangehörigen ›ausgeliehen‹ worden. Unter den gegebenen Umständen bin ich ganz zuversichtlich, daß der Erste Raumlord Caparelli unserem Ansinnen stattgeben würde, Sie mit einem graysonitischen Patent zu bestallen.«
Honor verzog das Gesicht und begann, an ihrer Unterlippe zu nagen. Das Angebot überraschte sie völlig, ihre Reaktion darauf verwirrte sie. Ein Teil in ihr wäre am liebsten begeistert aufgesprungen und wollte im ganzen Universum nichts lieber als die eine Aufgabe zurückzubekommen, auf deren Ausführung sie sich besser als auf alles andere verstand. Ein anderer Teil in ihr aber schreckte fast panikerfüllt zurück, wie in einer instinktiven Reaktion auf etwas Furchteinflößendes. Sie blickte Matthews tief in die Augen, als könnte sie darin erkennen, was sie wirklich von dem Angebot halten sollte, aber dort fand sie keine Hilfe. Höflich hielt der Hochadmiral ihrem Blick stand, bis sie sich von ihm abwandte.
Mit verschränkten Armen schritt Honor die Wände der Halle entlang und versuchte krampfhaft nachzudenken. Was stimmte denn nicht mit ihr? Der Mann bot ihr das Eine, das sie immer am meisten von allem gewollt hatte – zwar in der graysonitischen Navy, und nicht in der manticoranischen, aber sie war ebenso eine Grayson wie eine Manticoranerin. Und zweifelsohne hatte er recht. Der politische Druck mochte es der Admiralität noch lange unmöglich machen, ihr ein Schiff zu geben, aber die Navy würde ohne weiteres bereit sein, sie an die Graysons auszuleihen. Genaugenommen wäre das sogar die ideale Lösung – warum also schnürte es ihr die Kehle zu und ließ ihr Herz schlagen wie wild?
Abrupt verharrte sie mitten im Schritt und blickte über die Fenster des Fechtsaals hinaus auf das kultivierte Gelände des Landsitzes. Sie hatte begriffen, was sie zurückhielt.
Sie hatte Angst – Angst, es nicht mehr zu schaffen.
Nimitz gab einen leisen Laut von sich und verstärkte den Druck seines Schwanzes um ihren Hals. Honor spürte, wie seine Unterstützung in sie floß, aber die Augen, mit denen sie zu den Fenstern hinausblickte, verkündeten Bitternis. Früher, da hatte es sie nervös gemacht, neue Pflichten im Dienste der Königin zu übernehmen. Jedesmal, wenn die Seniorität Honor den Stoß versetzte und in eine neue, forderndere Verwendung drängte, hatte sie diese unterschwellige, nagende Unsicherheit verspürt – die leichte Furcht, sich diesmal den Anforderungen nicht gewachsen zu erweisen. Aber was sie nun verspürte, war schlimmer und viel tiefgehender.
Sie schloß die Augen und stellte sich – sich selbst. Stumpfe Scham brannte in ihr, als sie sich die Wahrheit eingestand. Man hatte sie … verletzt. Erinnerungen an all ihre Unsicherheiten, an die Alpträume und die plötzlichen, unvorhersehbaren Anfälle lähmender Furcht und Depression durchfuhren sie. Vor dem halb verkrüppelten Portrait, das diese Erinnerungen in Honors Kopf wachriefen, scheute sie zurück – ein Offizier ohne Kontrolle über die eigenen Gefühle hatte kein Recht, ein Kriegsschiff zu kommandieren. Eine Kommandantin, die im Selbstmitleid zerfloß, konnte für die Menschen, deren Leben und Tod von ihrer Einschätzung abhing, nicht ihr Bestes geben, und dadurch wurde sie für die Besatzung gefährlicher als der Gegner. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre – nur angenommen –, hatte sie überhaupt genug von ihrem Selbst übrig, um sich nun vielleicht sogar noch größeren Verletzungen zu stellen? Konnte sie denn mit sich leben, wenn noch mehr Menschen unter ihrem Kommando das Leben lassen mußten? Und was noch gefährlicher erschien – vermochte sie überhaupt jemanden in den Tod zu schicken, wenn es für die Erfüllung der Mission erforderlich war? In Kriegen starben Menschen. Wenn im ganzen Universum nur ein Mensch das wußte, dann Honor Harrington. Aber könnte sie es denn wieder ertragen, ihre eigenen Leute dem sicheren Tod zu überantworten, wenn es sein mußte? Oder würde sie davor zurückschrecken und ihre Pflicht nicht erfüllen, weil sie zuviel Angst davor hatte, noch mehr Menschen auf ihrem Gewissen zu haben – nur, um eine Pflicht zu erfüllen?
Sie schlug die Augen auf und fletschte
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