Honor Harrington 5. Im Exil
stellt. Wie auch jeder andere Angehörige der Sakristei bete ich, daß jener, der einst Bruder Marchant gewesen ist, zu uns zurückfindet, so daß wir ihn wieder in den Armen der Vaterkirche willkommen heißen dürfen. Dann freuen wir uns alle, denn jede Familie freut sich, wenn einer, der verloren war, wiedergefunden wird. Aber bevor er sich zur Rückkehr entscheidet, bleibt er uns ein Fremder. Ein Kind, das sich aus eigenem Antrieb vom Herrn abkehrt, ist ein Fremder, so tief es uns auch schmerzt, es von uns entfremdet zu sehen, und die Entscheidung zur Rückkehr muß wie alle Entscheidungen, vor die uns Gott in der Prüfung des Lebens stellt, aus freiem Willen erfolgen. Brüder und Schwestern, inständig bitte ich euch, für Edmond Augustus Marchant zu beten, auf daß er wie wir in der Stunde seiner Prüfung nicht verzage, Gottes Willen erkenne und Seine Liebe spüre.«
Auf der Rückfahrt von der Kathedrale nach Hause spähte Honor nachdenklich aus dem Wagenfenster. Nicht anders als die planetengeborenen Graysons war sie von der Schnelligkeit, mit der die Kirche reagierte, gebannt. Tief in sich aber fürchtete sie die Konsequenzen. Als höchstes leitendes Gremium der Kirche hatte die Sakristei jedes Recht zu diesem Schritt, und doch war die Enthebung aus dem Priesteramt die schwerwiegendste aller Maßnahmen, die sie ergreifen konnte: ein Schritt, der nach Honors Meinung jeden Reaktionär auf dem Planeten zur Weißglut treiben würde. Nur wenige würden glauben, daß die Harringtoner Gutsherrin mit der Entscheidung nicht das geringste zu tun gehabt hatte – und ihnen allen wäre das egal. Die Eiferer würden darin nur den Beweis erkennen wollen, daß die von ihnen so sehr gefürchtete fremdweltliche Korruption bereits bis in die Sakristei vorgedrungen wäre. Beängstigend hoch war das Risiko einer gewalttätigen Reaktion der Fanatiker, die sich schon als bedrängte Minderheit betrachteten.
Honor seufzte, machte es sich in dem luxuriös gepolsterten Sitz des Wagens so bequem wie möglich und lauschte Nimitz, der auf ihrem Schoß lag und beruhigend schnurrte. Für Honor kam die Amtsenthebung des Priesters zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Heute war der letzte Gottesdienst gewesen, an dem sie für die vorhersagbare Zukunft teilnehmen konnte, denn am nächsten Tag hatte sie sich an Bord von GNS Terrible zu melden. Ohne Zweifel sprach einiges dafür, daß sie den Planeten verließ, während sich die Kirche mit den wütenden Reaktionen auf die Entscheidung der Sakristei befaßte, aber es sprach auch manches dagegen. Ihre Feinde konnten ihren Aufbruch für einen Beweis der Feigheit halten, als Flucht vor dem gerechten Zorn der wahren Diener Gottes über den Anteil, den sie am Martyrium eines Priesters hatte. Andererseits konnten sie es auch als ein Zeichen der Mißachtung halten – eine Art großspuriger Dreistigkeit, eine Geste dafür, daß sie keinen Grund mehr darin sehe, der Kirche Respekt vorzugaukeln, nachdem Bruder Marchant nun gefallen war.
Selbst wenn sie all diese Möglichkeiten außer acht ließ – was würde der Gutsherr von Burdette tun? Honor wußte nicht zu sagen, wie viele der anderen Gutsherren mit ihm sympathisierten und welcher Qualität diese Beziehungen waren. Daß der Lord von Burdette vor Wut schäumen würde, stand fest, und wenn andere Gutsherren insgeheim seine Ansichten teilten, dann könnte die kirchliche Kriegserklärung an die Kräfte der Reaktion sie aus ihrem Stillschweigen hervorlocken. Selbst wenn dieser Fall nicht eintrat, besaß Burdette schon allein deswegen ein ungeheures Prestige, weil sein Gut eines der ›ersten Fünf‹ war. Es war nach graysonitischen Standards ungeheuer reich und dicht bevölkert, und die Familie Fitzclarance hielt das Gut Burdette seit mehr als siebenhundert Jahren. Der gegenwärtige Lord von Burdette genoß dadurch großes Ansehen und gebot über eine gewaltige Autorität, während das Gut Harrington auf Grayson neu sowie naturgemäß bislang am wenigsten bevölkert und arm war. Honor besaß hinreichend Realitätssinn, um zu erkennen, daß alle Autorität, über die sie verfügen mochte, darauf beruhte, wer sie war und wie die öffentliche Meinung auf Grayson sie sah – eine erheblich zerbrechlichere Basis als Burdettes ererbtes dynastisches Prestige. »Vom Planeten, aus dem Sinn«, sagte man, und so vermochte niemand vorherzusagen, wie die öffentliche Meinung beeinflußt wurde, wenn Honor erst im Weltraum war. Und was die Allgemeinheit auch immer
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