Honor Harrington 5. Im Exil
geschenkt und hätte sie besser von seinem Operationsoffizier oder Flaggkommandanten erledigen lassen sollen. Dann hätte er sich zurücklehnen und die Frage stellen können, weshalb Yanakov einen so offensichtlich unbeholfenen Angriff probierte.
Sobald er ein wenig besser delegieren kann, macht er den Sprung von sehr gut zu hervorragend , beurteilte Honor ihn. Sie war mit ihm als ihrem dienstältesten Divisionschef bereits außerordentlich zufrieden, und seine Reaktion auf ihre Beurteilung in der Simulation hatte sie richtig vorhergeahnt. Er war sich der eigenen Fehler durchaus bewußt gewesen und hatte weder Yanakov nachgetragen, daß er die Probleme erst hervorgerufen hatte, noch Honor, daß sie ihn aus dem Signalkreis ausgeschlossen hatte, um zu sehen, wie Trailman auf sich gestellt reagieren würde. Darüber hinaus stellte er in den nächsten Simulationen mehr als deutlich unter Beweis, daß er die Lehren verinnerlicht hatte, und mit jedem verstreichenden Tag schien der Konteradmiral immer zuversichtlicher zu werden.
So zufrieden sie mit Brentworths Führung auch war, hatte sie doch bei sich eine Neigung festgestellt, sich am Besitz von Konteradmiral Yanakov zu ergötzen. Judah Yanakov stellte zu Trailman einen Gegensatz dar, wie er stärker nicht sein konnte, sowohl in körperlicher Hinsicht als auch in bezug auf sein Wesen.
Yanakov war Honors jüngster Divisionschef, ein kleiner, drahtiger Mann mit dickem, rötlich-braunem Haar und grauen Augen, und er bewegte sich mit einer Art nur halb unterdrückter Energie, die dem stämmigeren Trailman völlig abging. Yanakov besaß genug Aggressivität, die jedoch vom kalten Kalkül eines Berufsspielers ausbalanciert wurde. Außerdem war er ein Neffe von Bernard Yanakov, Wesley Matthews’ Vorgänger als Hochadmiral, und damit ein Vetter Protector Benjamins. Er schien keine geschlechtsspezifischen Vorbehalte gegen Honors Fähigkeiten zu hegen.
Honor verabscheute Offiziere, die Günstlingswirtschaft betrieben, deshalb vermied sie diese in Yanakovs Fall mit Bedacht. Trotzdem traute sie seinen Instinkten mehr als Trailmans – und auch Brentworth’. Wie Yanakov schon in der Simulation bewiesen hatte, neigte er ein wenig dazu, allzu einfallsreich zu sein, aber er zügelte sich mittlerweile und schien dabei nicht an Initiative einzubüßen. Im Grunde gab es nur ein Problem mit ihm: daß er Probleme hatte – mit Alfredo Yu.
Honor seufzte und rieb sich die Nase, während sie finster auf den leeren Bildschirm starrte. Alle ihre graysonitischen Offiziere hatten eigene Gründe, dem Mann zu mißtrauen, der ihre Vorallianznavy so gut wie vernichtet hatte. Walter und Trailman hatten ihre Bedenken gegen Yu überwunden, Yanakov – noch – nicht. Er gab sich die größte Mühe, daß keinerlei Dienstangelegenheiten von seinen Gefühlen beeinträchtigt würden, und Honor mußte sich schuldbewußt eingestehen, daß Yanakovs Gefühle ihren eigenen sehr ähnelten: Sie hatte Yu die Schuld an Admiral Courvosiers Tod angelastet; Yanakov warf Yu vor, seinen Onkel auf dem Gewissen zu haben – was wohl nicht weiter verwunderlich war. Honor bedauerte es immer mehr, daß sie und der frühere Hochadmiral keine Chance gehabt hatten, die kulturellen Differenzen zu überwinden, denn alles, was sie über ihn erfuhr, schien nur herauszustreichen, welch bemerkenswerter Mann in der Ersten Schlacht von Jelzins Stern gefallen war.
Doch so herausragend Hochadmiral Yanakov als Offizier und Mensch gewesen war, Honor bedauerte, daß sein Tod einen Keil zwischen seinen Neffen und Alfredo Yu trieb. Als ihr dieses Bedauern zum ersten Mal bewußt geworden war, hatte sie sich darüber gewundert, und dennoch erging es ihr noch immer so. Ihr persönliches Verhältnis zu Yu war weiterhin gespalten, und ein wenig verspürte sie deshalb Abscheu vor sich selbst. Immer wieder sagte sie sich, daß sie doch eigentlich den Zwiespalt überwinden können müßte. Sie glaubte zwar, daß sie allmählich darüber hinwegkam, aber es ging sehr langsam und nahm viel Zeit in Anspruch – und das lag allein an ihr.
Ihr Gesicht wurde bei diesem Eingeständnis noch finsterer. Alfredo Yu war einer der fähigsten Offiziere, die sie kannte. Seine Reaktion auf Yanakovs Hinterhalt war kein Glückstreffer gewesen; diese gelassene Weigerung, in Panik zu verfallen, dieses rasche Denken … all das war ganz typisch für ihn. In professioneller Hinsicht wußte Honor seinen Wert durchaus zu schätzen. Erschwerend kam hinzu, daß sie einen
Weitere Kostenlose Bücher