Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
dem Verlorengehen, davor, hilflos im Weltraum zu treiben, bis dem Raumanzug Atemluft und Wärmeversorgung ausgingen, gehörte zu den dunkelsten Alpträumen dieses Berufs.
Jemand hatte versucht, Ginger Lewis dieses Schicksal zu bereiten, und Honors Wut brannte noch heißer, weil sie sich selbst dafür verantwortlich fühlte. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, wer hinter dem Mordanschlag steckte, und Honor trug die Verantwortung, daß Steilman noch auf freiem Fuß war. Sie hätte ihre Bedenken bezüglich Tatsumis Laufbahn und Wandermans Selbstachtung beiseite stellen und Steilman gleich bei seinem ersten Verstoß gegen die Borddisziplin zerquetschten müssen. Aber sie hatte sich ablenken lassen – sie hatte sich tatsächlich darauf gefreut, daß Steilman von Wanderman die Quittung erhalten würde – und völlig außer acht gelassen, daß auch Lewis als Opfer in Frage kam.
Ihr rechter Mundwinkel begann zu zucken, und Rafe Cardones, der dieses Symptom schon von früher kannte, versteifte sich bei diesem Anzeichen ihrer Wut. Aber erst, als die Kommandantin sich an ihn wandte, bemerkte der I.O., daß sie noch erheblich zorniger war, als er angenommen hatte, denn sie sprach ihn mit gelassener Stimme an, fast im Ton einer beiläufigen Konversation.
»Wie geht es Lewis?«
»Dr. Ryder sagt, daß sie durchkommt. Ich würde sagen, sie hat dabei das Glück für gleich zwo Lebenszeiten verbraucht«, antwortete Cardones behutsam. »Die Steuerdüsen hätten sie genausogut gegen den Rumpf treiben können, und sie hat so viel Magensäure eingeatmet, daß sie einen größeren Lungenschaden davontrug. Dr. Ryder hat das im Griff, aber Lewis hat außerdem ohne jede Warnung für zwanzig Minuten unter fünfunddreißig Ge gestanden, und ihr Vektor hat Haken geschlagen wie ein Hase, der vor einem Wiesel flieht. Das ist ihr nicht gerade gut bekommen, und als die Pinasse sie schließlich erreichte, litt Lewis bereits unter weitgehender Anoxie – nicht wegen Anzugversagens, sondern wegen der Lungenschädigung. Übrigens«, fügte er hinzu, »war der Sanitäter vom Dienst Tatsumi. Dr. Ryder sagt, daß Lewis nur seinetwegen noch am Leben ist.«
»Ich verstehe.« Honor ging eine Runde durch ihr Arbeitszimmer, während sich Nimitz auf seinem Ruhelager zusammenkrümmte. Sein Schwanz zuckte hin und her, sein Fell war gesträubt. Er teilte ihren brennenden Zorn. Tschu hatte Samantha dabei, und die Baumkatze bebte unter den Emotionen, die von Honor und Nimitz ausgingen – und von ihrem eigenen Gefährten. Der Ingenieur hob die Hand und streichelte ihr beruhigend den Rücken. Samantha hob sich seiner Berührung entgegen – aber gleichzeitig fletschte sie unter Zischen und Fauchen die Zähne.
»Wer hat den Anzug gewartet?« wollte Honor schließlich wissen und wandte sich den wartenden Offizieren zu.
»Ich habe den Dienstplan bereits überprüft, aber wir leisten Sonderschichten, um die Gondeln wieder zu beladen, deshalb sind zusätzliche Leute beteiligt«, antwortete Tschu. »Lewis’ SUT ist von Avram Hiroshio überprüft worden, und das ist einer meiner besten Techniker. Aber im Augenblick tummeln sich so viele Leute in der Anzuggruft, daß jeder den SUT manipuliert haben könnte. Schließlich brauchte der Bastard nur fünf Sekunden, in denen keiner zusah, um seinen Chip in den SUT-Computer zu kopieren.«
»Wollen Sie mir damit sagen«, fragte Honor und betonte jedes Wort mit peinlicher Genauigkeit, »daß jemand in meinem Schiff versucht hat, ein Mitglied meiner Besatzung zu töten, und wir nicht den geringsten Anhaltspunkt besitzen, wer dafür in Frage käme?«
»Wir können es eingrenzen, Skipper, aber nicht eng genug«, gestand Tschu. »Zwo oder drei Dutzend kommen in Frage. Es tut mir leid, aber so ist es.«
»Steht Randy Steilman auf dieser Liste?« fragte Honor unverblümt.
»Nein, Ma’am, aber …« Tschu zögerte und holte tief Luft. »Steilman steht nicht darauf, aber sowohl Jackson Coulter als auch Elizabeth Showforth, und die gehören beide zu Steilmans Kreis. Aber ich kann keinem von beiden auch nur das geringste beweisen.«
»Mir ist es egal, was sie beweisen können. Im Moment wenigstens.« Sie blickte Cardones an. »Rufen Sie den Profos. Coulter und Showforth stehen unter Arrest. Ich möchte, daß sie ausgequetscht werden.«
»Verstanden, Ma’am«, begann Cardones, »aber ohne Bewei …«
»Auf meinen Befehl«, unterbrach Honor ihn mit unbewegter Stimme. »Sagen Sie ihnen das. Und erinnern Sie beide daran, daß
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