Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
aktive Angehörige der Streitkräfte kein Recht auf Aussageverweigerung besitzen. Einer von beiden hat einen Mordversuch begangen, und sie werden keine ruhige Minute haben, bis ich den Verantwortlichen ermittelt habe.«
Cardones erwiderte ruhig ihren Blick, aber seine Augen wirkten besorgt.
»Skipper, ich werde es tun, aber Sie wissen, was sie am Ende behaupten werden: daß es nur ein Scherz gewesen sei, der ausgeartet ist, und daß sie nie die Absicht gehabt hätten, Lewis zu töten.«
»Das ist mir egal.« Honor Harrington stand hochaufgerichtet und kerzengerade in ihrem Arbeitszimmer, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und ihre braunen Augen funkelten eiskalt. »Das ist schon der dritte Unfall, der einem meiner Leute widerfährt. Hören Sie mir gut zu: Das Maß ist voll. Zu einem vierten wird es nicht kommen. Ich stecke diese beiden in den Arrest, ich lasse sie bearbeiten, und ich werde herausbekommen, wer verantwortlich ist. Und wenn ich das weiß, werde ich dafür sorgen, daß keinem Stück Abschaum in einer manticoranischen Uniform jemals elender zumute gewesen ist als dem oder der Verantwortlichen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Rafe?«
»Jawohl, Ma’am.« Cardones nickte knapp und unterdrückte den Drang, Haltung anzunehmen.
Honor erwiderte das Nicken. »Dann ist es ja gut«, sagte sie.
Und wieder saß Aubrey Wanderman im Lazarett, nur daß diesmal er Ginger die Hand hielt. Sie lag reglos da, Mund und Nase unter einer durchsichtigen Sauerstoffmaske. Dr. Ryder hatte Aubrey versprochen, daß sie wieder in Ordnung kommen würde, daß sie die Sauerstoffmaske nur so lange brauchte, bis die Schnellheilung ihre von der Magensäure verätzten Lungen regeneriert hätte. Aber Ginger wirkte so kraftlos, so zerbrochen.
Das ist nur die Schnellheilung, du Trottel! sagte er sich energisch. Man hatte Ginger allgemein stabilisiert, während man ihr die Säure aus den Lungen spülte, danach hatte man sie mit einer massiven Dosis Schnellheilungs-Substanzen behandeln müssen. Das haute auch den Stärksten um. Aber selbst dieses Wissen ließ Ginger in Aubreys Augen kein bißchen weniger schrecklich aussehen. Jemand blieb am Fußende des Bettes stehen, und Aubrey blickte zu Yoshiro Tatsumi hoch.
»Danke«, sagte Aubrey, und der Sanitäter zuckte voll Unbehagen mit den Schultern.
»Ich mache nur meinen Job, okay?«
»Ja, schon klar. Trotzdem danke. Wir sind befreundet.«
Tatsumi nickte. »Weiß ich.« In seinen dunklen Augen stand Mitgefühl, als er Ginger betrachtete. »Du weißt, daß sie Schwierigkeiten haben wird, wenn sie erstmal aufgewacht ist, oder?« fragte er leise. »Ich meine, sie hat ganz schön was mitgemacht, Mensch. Deshalb ist es ziemlich wahrscheinlich, daß sie posttraumatische Probleme haben wird.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kannte mal einen Techniker, einen Elektroniker wie dich, der den Holländer gemacht hat. Er arbeitete an einer Gravanlage, und irgendein Idiot in der Operationszentrale hat nicht auf die Warntafel geachtet. Hat Energie auf die Anlage gegeben, während der arme Kerl noch draußen daran arbeitete. Der Impuls hat ihn vom Rumpf weggeschleudert, und der Energieüberschlag hat das Com und die halbe Anzugelektronik durchbrennen lassen. Wir haben fast zwölf Stunden gebraucht, um ihn wiederzufinden. Der Mann ist nie wieder ausgestiegen. Nie wieder. Er konnte es einfach nicht mehr.«
»Ginger ist zäher«, entgegnete Aubrey mit mehr Überzeugung, als er empfand. »Sie hat EVA immer geliebt, und sie ist nur eine halbe Stunde lang Holländer gewesen. Sie schafft das schon. Von so einem dämlichen Unfall läßt sie sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen.«
Tatsumi stutzte. »Unfall?« Er blickte sich aufmerksam um und schüttelte den Kopf. »Das war kein verdammter Unfall, Mensch«, sagte er viel leiser. »Hast du denn nichts gehört?«
»Was gehört? Lieutenant Wolcott hat mir sofort erlaubt, hierhin zu gehen, und seitdem bin ich hier.«
»Scheiße, Wanderman – die Alte Lady hat Coulter und Showforth in den Bunker gesteckt. Es heißt, jemand hat Gingers SUT sabotiert, und der Skipper ist sich verdammt sicher, daß es einer von den beiden gewesen ist. Wer immer das war, endet als Reaktormasse, sobald die Alte Lady weiß, wen sie hängen muß. Ich meine, sie ist wirklich sauer , Mensch!«
»Coulter und Showforth?« wiederholte Aubrey. Er kannte seine eigene Stimme nicht mehr. Als Tatsumi nickte, erhob sich Aubrey geschmeidig. Er tätschelte Ginger sanft die Hand,
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