Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Wurm zu zertreten. Er war zu wütend, um nachzudenken und sich zu erinnern, daß es hier Dutzende von Zeugen gab. Doch selbst wenn er sich dessen bewußt gewesen wäre, hätte es vermutlich keinen Unterschied ausgemacht. Seine Wut saß zu tief und loderte zu heiß, als daß er sich noch an seinen Plan erinnerte, Aubrey wieder aufzulauern, bis er ihn erneut allein erwischte. Daran, wie er sich Zeit lassen wollte, um den kleinen Mistkerl wimmern und betteln zu hören. Nun wollte Steilman nichts anderes mehr, als ihn zu Brei schlagen, und nie wäre ihm in den Sinn gekommen, daß Aubrey es absichtlich darauf angelegt haben könnte.
Al Stennis sah mit Entsetzen zu. Anders als Steilman konnte er noch immer denken und wußte, was geschehen würde, wenn Steilman den ersten Schlag führte. Aubrey hatte keine einzige bedrohliche Bewegung gemacht und nicht einmal etwas Einschüchterndes gesagt. Wenn Steilman ihn vor den Augen dieser Zeugen und trotz der erhaltenen Warnungen angriff, dann würde er bis zum Ende des Einsatzes im Bunker sitzen. Eventuell kam dann sogar der Fluchtplan ans Licht, vor allem, wo Coulter und Showforth bereits unter Verdacht standen. Stennis war sich all dessen bewußt, aber er vermochte nichts zu ändern. Er konnte nur mit herabhängendem Unterkiefer dasitzen und zusehen, wie alles in Scherben fiel.
Randy Steilman brüllte seine Wut hinaus und stürzte mit Mordlust in den Augen vor. Mit gekrümmten Fingern griff er nach Aubreys Kehle, um ihn zu erwürgen, um dem Kerl den Hals umzudrehen – und heulte vor Schmerz auf, als ihn ein wohlgezielter Tritt mitten in den Bauch traf. Er prallte zurück und brach über zwei leeren Stühlen zusammen. Dann wuchtete er sich wieder auf die Knie, rang um Atem und bedachte den schlanken diensttuenden P.O. mit einem vernichtenden Blick. Steilman konnte kaum glauben, was gerade passiert war. Im Aufstehen sprang er erneut, ließ dabei die Arme um sich kreisen und schlug die Stühle beiseite.
Aubreys blitzschnell ausgeführter Drehtritt traf Steilman mitten ins Gesicht, bevor dieser wußte, wie ihm geschah. Wieder ging der Energietechniker zu Boden und brüllte vor Schmerz – die Nase war zerquetscht, zwei Schneidezähne abgebrochen. Steilman spuckte Zahnfragmente und Blut aus und starrte voller Entsetzen und Zorn darauf. Ilyushin trat mit einem wütenden Knurren vor, aber die Bewegung endete genauso abrupt wie sie begonnen hatte, als ihn eine Hand wie eine Stahlklammer am Nacken packte. Ilyushin keuchte vor Schmerz. Einer seiner Arme wurde ihm auf den Rücken gedreht, bis er mit dem Handrücken die Schulterblätter berührte, dann ein Knie ins Kreuz gestoßen, und eine tiefe, kalte Stimme grollte ihm ins Ohr.
»Du hältst dich da raus, Herzblatt«, erklärte Horace Harkness ihm leise, fast liebevoll, »oder ich breche dir deinen schmutzigen Buckel.«
Ilyushin wurde käsebleich im Gesicht und krümmte sich unter dem Schmerz in Ellbogen und Schulter. Wie Steilman war er ein Sadist und Tyrann, aber kein kompletter Dummkopf – und Harkness’ Ruf kannte er nur allzugut.
Niemand hatte indessen Harkness und Ilyushin irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt; aller Augen waren auf Steilman und Aubrey gerichtet. Der Energietechniker rappelte sich erneut auf und schüttelte sich. Sein Gesicht war klebrig von dem Blut, das ihm aus der Nase und den aufgeplatzten Lippen rann. Er wischte sich mit dem Handrücken übers Kinn.
»Dafür bring’ ich dich um, Rotznase!« tobte er. »Ich reiß dir den Kopf ab und pisse in den Stumpf!«
»Aber sicher doch«, sagte Aubrey. Das Herz klopfte ihm irrsinnig schnell bis zum Hals, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er hatte Angst, denn er wußte genau, wie schlecht dieser Kampf nach wie vor ausgehen konnte, aber er behielt seine Furcht unter Kontrolle – er benutzte sie, ganz wie Harkness und der Gunny es ihm beigebracht hatten. Anstatt sich von der Angst treiben zu lassen, ließ er sich von ihr die Reflexe schärfen. Aubrey war in einer Weise auf sein Ziel konzentriert, die jemand wie Randy Steilman niemals begreifen konnte, und er maß kritisch jede Bewegung des Älteren, Erfahreneren.
Diesmal näherte Steilman sich ihm viel vorsichtiger, die rechte Faust gesenkt, den linken Arm vorgestreckt, um Aubrey zu ergreifen und zu sich heranzuziehen. Aber trotz allem, was er bereits hatte einstecken müssen, übertraf seine Wut bei weitem die Vorsicht. Steilman begriff nicht, wie sehr Aubrey sich verändert hatte, er besaß überhaupt
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