Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
ging, und dort wollte ich mich zuerst der Pistolenmannschaft anschließen. Aber andererseits konnte ich schon recht gut mit Schußwaffen umgehen, als ich das Aufnahmeexamen bestand, und den Coup trainierte ich erst seit vier Jahren; deshalb beschloß ich, beim waffenlosen Kampf zu bleiben, und fand mich schließlich in der Akademiemannschaft für Kampfsport wieder.«
»Ich verstehe.« LaFollet ging ein paar Schritte, dann grinste er breit. »Falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte, Mylady, Sie haben nicht viel mit einer typisch graysonitischen Dame gemein. Schußwaffen, Kampfsport … Wenn’s das nächste Mal haarig wird, sollte ich mich wohl lieber hinter Ihnen verstecken.«
»Aber Andrew! Wie können Sie nur in solch schockierender Manier zu Ihrer Gutsherrin sprechen?«
LaFollet lachte leise, obwohl er ihr im Stillen recht gab. Unter gewöhnlichen Umständen hätte kein wohlerzogener männlicher Grayson auch nur daran gedacht, mit einer wohlerzogenen Frau über Gewalt zu diskutieren. Doch Lady Harrington war nicht als Grayson aufgewachsen und erzogen worden, und im Übrigen befanden sich die Regeln, die angemessenes Betragen festlegten, ohnehin im Umbruch. Einem Außenstehenden mußte dieser Wandlungsprozeß langsam erscheinen, aber ein Grayson, dessen Leben voll und ganz auf der Tradition basierte, fühlte sich, als hätte ihn die Entwicklung in den vergangenen sechs T-Jahren mit schwindelerregender Geschwindigkeit überrollt. Der Grund für all das war die Frau, die Andrew LaFollet mit seinem Leben beschützte.
Merkwürdig, aber sie war sich der Veränderung wohl viel weniger bewußt als irgend jemand sonst auf diesem Planeten, denn sie entstammte einer Gesellschaft, in der allein der Gedanke auf Unverständnis gestoßen wäre, Mann und Frau könnten als ungleich betrachtet werden. Aber die zutiefst traditionalistische, patriarchalische Gesellschaft und Religion Graysons hatte sich in einem Jahrtausend der Isolation entwickelt, auf einer Welt, deren hoher Schwermetallanteil den Planeten selbst zum größten Feind seiner Bewohner machte. Die eherne Stärke dieser Traditionen hatte zur Folge, daß jede Veränderung nur sehr langsam und alles andere als über Nacht vonstatten gehen konnte, aber LaFollet war sich ständig der allmählichen, schleichenden Anpassung bewußt, die ringsum mit kleinen Schritten, aber unaufhaltsam vor sich ging. Meist befand er diese Veränderungen für positiv. Zwar waren sie nicht immer bequem und schon gar nicht von allen begrüßt – wie vor einem Jahr die Gruppe religiöser Fanatiker unter Beweis gestellt hatte, die seine Gutsherrin zu vernichten versuchte. Dennoch war LaFollet sich so gut wie sicher, daß Lady Harrington überhaupt nicht wußte, wie sehr sie und die anderen Manticoranerinnen, die in der Navy dienten, den jüngeren weiblichen Graysons ein Vorbild waren. Dennoch zeigten sich auf Grayson nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß der Planet sich in einen Abklatsch des Sternenkönigreichs verwandeln könnte. Vielmehr entwickelten seine Bewohner völlig neue Verhaltensmuster, und LaFollet fragte sich oft, wohin dies wohl führen würde.
Sie gelangten an das Ende des kurzen Korridors und nahmen den Aufzug zum zweiten Obergeschoß von Harrington House, wo sich Honors Privatgemächer befanden. Ein älterer Mann mit bereits schütterem, sandfarbenem Haar und grauen Augen erwartete sie schon, als die Aufzugtüren sich öffneten, und Honor legte den Kopf schräg.
»Hallo, Mac. Was kann ich für Sie tun?« fragte sie.
»Wir haben soeben eine Nachricht aus der Umlaufbahn erhalten, Ma’am.« Wie Honor trug auch James MacGuiness Zivilkleidung, was seiner Rolle als Haushofmeister angemessen war, aber er war das einzige Mitglied ihres engen Kreises, der sie nicht ständig mit ›Mylady‹ ansprach. Dafür gab es einen einfachen Grund; Master Chief Steward’s Mate MacGuiness war seit mehr als acht Jahren ihr persönlicher Steward und – wie sie gern sagte – oberster Behüter, und das machte ihn zum einzigen Angehörigen des Hauses, der sie gekannt hatte, bevor sie den Ritterschlag empfing, lange bevor sie Gräfin und Gutsherrin wurde. Vor Besuchern redete er sie gewöhnlich mit »Mylady« an, was er im Gegensatz zu den Graysons »Milady« aussprach, wie im Sternenkönigreich üblich. Im privaten Kreis hingegen neigte er zur älteren, militärischen Anrede.
»Was für eine Nachricht?«
MacGuiness lächelte Honor breit an. »Von Captain Henke, Ma’am. Die Agni
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