Honor Harrington 6. Ehre unter Feinden
Lewis auf angemessenen erscheinende Dienstgrade abstufen, was einer Degradierung aus gegebenem Anlaß gleichkäme. Zwar wäre dies in den Personalakten nicht so zu lesen, aber der Eintrag würde die beiden dennoch für den Rest ihrer Karriere als Degradierung verfolgen. Jeder Raumoffizier, der diese Dienstakten zu Gesicht bekäme, würde wahrscheinlich annehmen, die beiden seien aus Protektion befördert worden, und sie müßten deshalb härter arbeiten als jeder andere, nur um zu beweisen, daß das nicht der Fall gewesen war.
Honor nahm den Blick von den ‘Katzen und konzentrierte sich auf Tschu. Besorgt begegnete der LI ihrem Blick, und an seiner Sorge erkannte sie, daß Tschu sich der Implikationen seines Ersuchens genau bewußt war. Außerdem wirkte er, als sei er von der Stichhaltigkeit seiner Bitte überzeugt, und anders als Honor kannte er die Besatzungsmitglieder, um die es ging, persönlich.
»Sie sind sich im klaren«, fragte sie, weil es gefragt werden mußte, »daß Sie diese beiden – Maxwell und Lewis – in eine sehr schwierige Situation bringen?«
»Jawohl, Ma’am, das bin ich«, antwortete Tschu ohne Zögern. »Mir wäre es auch lieber, wenn ich die Positionen diensttuend vergeben könnte, aber …« Er zuckte mit den Schultern und zeigte dadurch, daß er Honors Überlegungen bereits selbst angestellt hatte. »Was Maxwell betrifft, so kennt er sein Metier von A bis Z, und das wissen meine Mannschaftsdienstgrade genau – und auch, woher seine Erfahrung stammt, und er ist ein großer, harter Bursche. Ich glaube, selbst Steil …« Er unterbrach sich. »Ich bezweifle, daß selbst der schlimmste Unruhestifter sich mit ihm anlegen würde. Lewis ist körperlich zwar nicht im geringsten einschüchternd, aber ich glaube ganz ehrlich, daß sie von beiden die höheren Führungsqualitäten besitzt. Außerdem ist sie eine Art Zauberin, wenn es um Problemlösungen geht. In der Theorie ist sie zwar nicht so sehr beschlagen, aber immer noch stärker als neunzig Prozent meiner anderen Leute.
Ich wäre nicht im geringsten überrascht, wenn sie in zehn Jahren Mustang ist und meinen Dienst tut. Wenn ich an diese Schnellschulungsprogramme für Offiziersanwärter denke, die BuPers einrichten will, vielleicht sogar noch eher. So gut ist sie nämlich.«
Honor nickte nur, aber erstaunt über Tschus Einschätzung von Lewis’ Potential war sie schon. Die RMN hatte mehr »Mustangs«, die als Mannschaftsdienstgrade begonnen und sich ihr Offizierspatent auf die harte Tour erarbeitet hatten, als die meisten Flotten mit aristokratischer Tradition, aber es war noch nicht vorgekommen, daß jemand auf dem ersten Einsatz als potentielles Raumoffiziersmaterial hervorgetreten war. Ganz kurz flackerte in Honor der Verdacht auf, Tschu könne Lewis aus persönlichen Gründen unterstützen, aber sie verwarf den Gedanken beinahe auf der Stelle. Er gehörte einfach nicht zu der Sorte, die sich auf ein sexuelles Verhältnis mit Untergebenen einließ, und wenn doch, dann hätte sie etwas davon über Nimitz gespürt.
Folglich lief alles darauf hinaus, daß Harold Tschu sie bat, den Ruf ihres professionellen Urteilsvermögens für zwei Personen aufs Spiel zu setzen, die sie nicht einmal kannte. Das erforderte eine Menge Mut, denn viele Kommandanten hätten sich mit Entzücken an ihm gerächt, wenn BuPers ihnen deswegen aufs Dach stiege. Und daß er Mut hatte, mußte nicht zugleich bedeuten, daß seine Einschätzung stimmte. Andererseits ging es um seine Abteilung. Anders als Honor kannte er die Menschen, über die sie zu entscheiden hatte, und etwas mußte unternommen werden. Jede andere Abteilung verließ sich auf die Schiffstechnik, und in jedem Gefecht wurde der Technische Leitstand als Koordinationszentrale der Schadensbehebung zu einer der wichtigsten Schaltstellen im ganzen Schiff.
Im Endeffekt hing also alles davon ab, wie sehr sie sich auf Tschus Beurteilung verließ. In gewisser Weise hatte er sie in die Ecke manövriert, ohne daß sie es ihm verdenken konnte. Indem er sein Ansinnen vorbrachte, ließ er ihr nur zwei Möglichkeiten offen: Sie konnte ihm entweder zustimmen oder nicht und dadurch zeigen, daß sie sich nicht auf ihn verlassen wollte. Niemand außer ihr, Rafe und Tschu hätte je davon erfahren – aber das wäre schon mehr als genug.
»Also gut, Harry«, entschied sie. »Wenn Sie das für die richtige Lösung halten, dann wollen wir es probieren. Rafe«, wandte sie sich an Cardones, »lassen Sie Chief Archer bis
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