Honor Harrington 7. In Feindes Hand
offen die Frage stellte, wer seiner Meinung nach der größere Unterdrücker sei: die Legislaturisten oder das Komitee für Öffentliche Sicherheit?
»Gut! Dann verraten Sie mir doch, aus welchem Grund wir Ihrer Ansicht nach so tief im Schlamassel stecken«, bat sie ihn und klang dabei so aufrichtig interessiert, daß Theisman ihr beinahe unverhohlen geantwortet hätte. Doch als er schon den Mund öffnen wollte, traf ihn wieder die kalte Leblosigkeit ihrer Augen wie ein Guß Eiswasser. Diese Frau ist noch viel gefährlicher als ich geglaubt habe! Obwohl er genau wußte, wie riskant es wäre, freimütig vor ihr zu sprechen, hätte sie ihn fast dazu bewegt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und sie erweckte den Eindruck, als hätte es ihr nicht die geringste Anstrengung bereitet.
»Nun, Ma’am, im Umgang mit Worten bin ich längst nicht so geschickt wie Sie und muß Sie bitten, daß Sie mir vergeben, wenn ich unverblümt spreche«, begann er nach unmerklichem Zögern und verstummte, bis sie genickt hatte. »In diesem Fall, Bürgerin Minister, muß ich – unverblümt – sagen: Wir stecken so tief im Schlamassel, daß es außerordentlich schwierig wäre, nur einen einzigen Grund für unsere Lage herauszugreifen – oder auch nur die wichtigsten Gründe.
Mit Sicherheit hat die Planung unseres Vorkriegsadmiralstabes und die mangelhafte operative Durchführung zu Kriegsbeginn in entscheidendem Maße zu unserer derzeitigen Misere beigetragen. Wie Sie selbst schon erwähnten, haben wir den Krieg mit einem erheblichen zahlenmäßigen Übergewicht begonnen, das in den ersten Schlachten aufgerieben wurde. Die überlegenen Waffensysteme der Manticoraner taten ihr übriges. Die Vorkriegsregierung und der Vorkriegsadmiralstab trifft die volle Schuld an dem Versäumnis, unsere technische Unterlegenheit zu erkennen und alle Operationen so lange zu verschieben, bis wir wenigstens Gleichstand erreicht hätten. Unsere Nachrichtendienste haben offensichtlich ebenfalls versagt – bedenken Sie nur, wie fehlerhaft die anfängliche Stationierung der Manties aufgeklärt worden ist … und ebenso hat kein einziger Geheimdienst etwas von dem Harris-Attentat erfahren und Schritte ergriffen, es zu verhindern.«
Er schürzte die Lippen und verstummte, um in Gedanken kurz zu resümieren, was er gesagt hatte, dann zuckte er mit den Schultern.
»Ich möchte damit feststellen, Bürgerin Minister, daß unsere augenblicklichen militärischen Schwierigkeiten die direkte Folge der vorausgegangenen Fehlentscheidungen und Irrtümer sind, und daß der katastrophale Kriegsbeginn und das Durcheinander nach dem Harris-Attentat den Weg für die weitere Entwicklung zum Schlechten geebnet haben. Auf dieser Basis muß ich also zustimmen: Unfähigkeit und Dummheit auf seiten des alten Offizierskorps und der politischen Führung sind die Ursache für unser Dilemma.«
»Ich verstehe«, sagte Ransom wieder, und Theisman hielt den Atem an, denn sein letzter Satz war weitaus unverblümter gewesen als je von ihm beabsichtigt. Das alte Offizierskorps und besonders der Admiralstab hatten in der Anfangsphase des Krieges gewiß unverzeihliche Fehler begangen; die schwersten Verluste aber hatte die Volksflotte hinnehmen müssen, nachdem die legislaturistischen Admirale massakriert oder ins Exil getrieben worden waren. Erst die Unsicherheit und die Furcht während der ›Säuberungen‹ hatte den Manticoranern erlaubt, die Volksflotte zu tranchieren, und daran konnte man den Legislaturisten kaum die Schuld geben, denn zu diesem Zeitpunkt waren nur noch die wenigsten von ihnen am Leben. Andererseits hatte Theisman auch nicht ausdrücklich der alten politischen Führung die Schuld zugeschoben, und er hoffte inständig, daß Ransom seine Formulierung nicht aufgefallen war.
Offenbar hatte sie das Fehlen des Attributs nicht bemerkt. Sie betrachtete ihn, während sie seine Worte erwog, dann nickte sie und beugte sich ein wenig vor.
»Ich freue mich zu sehen, daß Sie realistisch beurteilen, wie wir in unsere Lage gekommen sind, Bürger Admiral. Denn das ermutigt mich zu glauben, daß Sie vielleicht auch wissen, was wir zu tun haben, um uns aus unseren Schwierigkeiten zu befreien.«
»Aus militärischer Sicht kommen mir mehrere Maßnahmen in den Sinn, die ergriffen werden sollten«, sagte Theisman zögernd. »Nicht alle davon sind ohne weiteres ausführbar, was besonders an unseren schweren Verlusten in jüngster Zeit liegt. Ich bin wohl kaum qualifiziert, Sie in sozial-
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