Honor Harrington 7. In Feindes Hand
gedacht hatte, war nun völlig unerheblich. Ob sie richtig oder falsch gehandelt hatte, die Zukunft würde sie jedenfalls viel harscher verurteilen als Sorbanne es vermochte, denn in ihrer ganzen Geschichte hatte die RMN noch kein so vollständiges Desaster erlitten … bis zu diesem Tag. Ganze Generationen von Fachleuten würden jede Einzelheit, jede Facette der Schlacht von Adler analysieren und mit der Sicherheit des im nachhinein Klügeren und der gezierten Rücksichtslosigkeit des Unbeteiligten Fehler aufdecken und Schuld zuweisen. Doch war dieser Aspekt im Moment ebenso irrelevant wie die Frage, was wohl in Yeargin vorgegangen sein mochte. Im Augenblick besaß nur die Tatsache Gewicht, daß ihr Kommando verlorengegangen war – ausgelöscht. Zermalmt. Wenn die Haveniten bei einem Überraschungsangriff Raketengondeln auf kurze Distanz eingesetzt hatten, mußten die Verluste an Menschenleben gewaltig gewesen sein, denn gewiß hatte niemand einen Raumanzug getragen, und nur sehr wenige Überlebende konnten in Rettungskapseln entkommen sein, bevor die Schiffe explodierten.
Beim Gedanken an die vielen Toten erfüllte sie Trauer, dann aber kam ihr etwas anderes in den Sinn, und sie konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt.
»Wer bewacht das System, wenn Sie der höchste überlebende Offizier sind, Commander?«
»Niemand, Ma’am. Ich hatte nur drei Schiffe: Windsong, Rondeau und Balladeer . Unter den gegebenen Umständen hielt ich es für meine oberste Pflicht, alle drei einzusetzen, um die Neuigkeit so schnell wie nur möglich zu verbreiten. Daher bin ich mit der Windsong hierhergekommen und habe die beiden anderen nach Quest und Treadway geschickt.«
»Verstehe.«
Dorcett fühlte sich von der fast mechanisch klingenden Antwort des Vizeadmirals bei der Kehle gepackt und verkrampfte die Hände hinter dem Rücken. Sie bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht, doch als Sorbanne den Kopf schüttelte, ahnte sie, daß es ihr nicht gelungen war.
»Es ist nicht Ihre Schuld, Commander«, sagte Sorbanne schließlich, seufzte und kniff sich fest in den Nasenrücken. »Sie haben die Lage nach bestem Wissen beurteilt und sind zu dem Schluß gekommen, Ihre Schiffe seien am sinnvollsten eingesetzt, wenn Sie die Befehlshaber der benachbarten Stationen alarmierten, bevor man mehr Schiffe nach Adler schickt, richtig?« Sie senkte den Arm und sah Dorcett fordernd an. Der Commander nickte. »Das war ein angemessenes und logisches Urteil, und ich werde mich Ihrer Entscheidung in meinem Bericht an die Admiralität anschließen. Aber leider sind Sie zu spät gekommen, Commander.«
»Zu spät, Ma’am?« Kaum hatte sie die Worte der Admiralin wiederholt, brandete in Dorcetts Magen die kalte Verzweiflung auf.
»Siebzehn Frachter sind samt Geleitschutz vor etwas mehr als fünf Tagen von Clairmont ausgelaufen, Commander Dorcett. Sie müßten Adler innerhalb der nächsten zwölf Stunden erreichen, und ohne Vorposten, um sie zu warnen …«
Die Admiralin zuckte mit den Schultern, und Jessica Dorcett, Zerstörerkommandantin ohne Fortune, schloß die Augen, als sie die entsetzlichen Folgen ihrer Entscheidung begriff – und das Schuldgefühl sich einstellte.
Alistair McKeon saß am Kopf der Tafel und betrachtete seine Gäste. Das behagliche, schmackhafte Dinner in seinem Salon ging dem Ende entgegen; gerade wurden bei einem Dutzend Einzelgesprächen die letzten Bissen vertilgt und der Wein gekostet. McKeon gestattete sich das warme Gefühl der Selbstbeglückwünschung, die er als erfolgreicher Gastgeber verdient hatte. Rechts von ihm saß Honor als sein Ehrengast, ihr gegenüber Commander Taylor Gillespie, der I.O. der Prince Adrian . Lieutenant Commander Geraldine Metcalf, McKeons Taktischer Offizier, saß rechts von Gillespie und Nimitz gegenüber; Honors Offiziere und Surgeon Lieutenant Enrico Walker, der Schiffsarzt der Prince Adrian , besetzten die übrigen Stühle am Tisch. Draußen vor der Luke zu McKeons Kajüte teilte sich James Candless die Wache mit einem Marineinfanterieposten, während Andrew LaFollet und Robert Whitman drinnen vor den Schotts standen. Die beiden Waffenträger gaben sich wachsam wie immer und zudem ebenso höflich wie unaufdringlich, erinnerten durch ihre Anwesenheit jedoch jeden Gast daran, daß die Geschwaderchefin von CruRon 18 zugleich eine erlauchte Feudalherrin war.
Wie McKeon sehr gut wußte, fanden manche RMN-Offiziere Honors Titel und Stellung entweder lächerlich oder aufreizend.
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