Honor Harrington 7. In Feindes Hand
eines Schlachtkreuzers oder Schweren Kreuzers entkommen zu sein, und dieser letzte Verfolger hätte ihr nur ein kurzes Gefecht aufzwingen können. Aber …«
Robards unterbrach sich und zögerte. Fast unmerklich ließ er die Schultern sinken, und er blickte dem Admiral in die Augen.
»Mehr wissen wir nicht, Mylord«, sagte er leise. »Als das Kurierboot Clairmont Station verließ, war die Prince Adrian fünfzig Stunden überfällig. Admiral Sorbanne hat sie daraufhin offiziell als verschollen erklärt.«
»Ja.« White Haven stierte auf die Schreibtischplatte. Als er heftig Luft einsog, bebten seine Nasenflügel. »Vielen Dank, Nathan«, sagte er. »Lassen Sie Dame Madeleines Depesche hier. Ich lese sie später.«
»Jawohl, Mylord.«
Der Flaggleutnant legte das Klemmbrett an den Rand des Schreibtischs; es klapperte leise. Dann verließ er das Arbeitszimmer, und hinter ihm schloß sich geräuschlos die Luke. Eine Stille senkte sich über das Arbeitszimmer, die nur von dem leisen, akribischen Ticken der Uhr gestört wurde, und der Earl saß lange völlig reglos da.
Wie viele Schiffe waren im Laufe der Jahre schon als ›überfällig und verschollen‹ gemeldet worden, nur um am Ende doch wieder aufzutauchen? Gewiß sehr viele. Es mußte einfach viele solche Fälle gegeben haben. Trotzdem fiel ihm kein einziger Schiffsname ein, und er wußte plötzlich, daß die Prince Adrian nicht wieder auftauchen würde.
Wie kann das nur geschehen sein? fragte er sich. Harrington war viel zu gut, um sich so einfach von den Havies kassieren zu lassen – und McKeon genauso. Was in Gottes Namen also ist da vorgefallen?
Die Raketenbehälter. Ja, das mußte es sein. Genau die Gondeln, vor denen Harrington gewarnt hatte. Das Schiff, das die Prince Adrian verfolgt hatte, konnte diese Gondeln nicht in Schlepp gehabt haben. Harrington war zu vorsichtig, um auf so etwas hereinzufallen. Ein Schiff, das Gondeln schleppte, beschleunigte mit reduzierten Werten, und das wäre Harrington niemals entgangen. Sie hätte sich gefragt, weshalb der Havie sein Beschleunigungsvermögen nicht ausnutzte, und den richtigen Schluß gezogen.
Er stand vom Schreibtisch auf, legte die Hände auf den Rücken und begann, auf und abzuschreiten. Dabei starrte er finster aufs Deck und ging eine Erklärung nach der anderen durch.
Jemand hat sich versteckt gehalten , folgerte er. Ein Kampfschiff auf Schleichfahrt – die eine Gefahr, gegen die man sich eigentlich niemals schützen kann. Gott, wie gering die Chancen sind, auf ein solches Schiff zu treffen!
Doch ergab diese Vermutung vollkommen Sinn. Ein Schiff, von dem Harrington nichts gewußt hatte und das versteckt auf dem Vektor der Prince Adrian lag, seine Raketengondeln aussetzte und in aller Ruhe abwartete, bis der manticoranische Kreuzer ihm nicht mehr ausweichen konnte. Voller Qual schloß White Haven die Augen und stellte sich den Moment der Erkenntnis vor, den Augenblick, in dem Harrington begriff, was vor sich ging – und daß es keine Möglichkeit mehr gab, das Verderben abzuwenden. Und dann mußte das Blutbad gefolgt sein, wie es der Earl schon viel zu oft in seinem Leben beobachtet – und selbst entfesselt – hatte; eine Welle von Laser-Gefechtsköpfen mußte über die Prince Adrian hereingebrochen sein wie eine sphinxianische Sintflut.
Er wandte sich zu dem riesigen Gemälde von Benjamin IV. auf der Schottwand hinter seinem Schreibtisch um, und der Schmerz hatte ihm tiefe Linien ins Gesicht gegraben. Überfällig und verschollen , wiederholte er wie zum Spott die amtliche Formulierung. Endlich wagte er zu überlegen, ob Harrington noch lebe oder ob sie tot sei, und ballte unwillkürlich die Fäuste. Selbst wenn sie noch lebte, war sie nun Kriegsgefangene. Wie sollte es anders sein?
Er dachte an sein Gespräch mit Hochadmiral Matthews zurück, an die Fragen, die er sich dabei gestellt, und die Gefühle, mit denen er sich plötzlich konfrontiert gesehen hatte. Die Fragen hatte er nie beantwortet, sondern sie beiseite geschoben und sich geweigert, auch nur darüber nachzudenken. Nun aber … Nun aber erschien es nur zu wahrscheinlich, daß er die Antworten niemals erfahren würde. Als er in die haselnußbraunen Augen des Porträts starrte, wußte er, daß fortan immer ein dunkler Fleck in ihm zurückbliebe und er sich bis an sein Lebensende für Lady Harringtons Schicksal verantwortlich machen würde. Wenn sie sich nicht verfrüht zum Dienst zurückgemeldet hätte, wäre sie niemals ins
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