Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Perspektive. Nun, für ihn mag das ja toll sein , dachte Honor übellaunig. Vielleicht war seine Spezies so sehr daran gewöhnt, die Gefühle anderer wahrzunehmen, daß alle Baumkatzen damit spielend zurechtkamen. Trotzdem bestand noch lange nicht der geringste Grund, sich angesichts ihrer Schwierigkeiten derart unanständig zu amüsieren!
Sie konzentrierte sich darauf, Nimitz deutliche Mißbilligung zu vermitteln, doch der Baumkater entblößte nur die Zähne zu einem trägen, aber unverkennbaren Grinsen. Und nur um alles noch schlimmer zu machen, sandte er ihr einen weiteren Impuls, mit dem er seine vorbehaltlose Zustimmung für White Haven bekundete. Hinter sich hörte Honor ein leises Geräusch und blickte sich erleichtert über die Unterbrechung um. MacGuiness kam aus der Küche – seiner Küche, wie jedem Angehörigen von Harrington House peinlichst eingeschärft worden war. Das Personal unterstand MacGuiness, und er war durchaus bereit, die meisten Aufgaben zu delegieren, doch nur er servierte seiner Kommandantin die Mahlzeiten. Vor White Haven verbeugte er sich knapp.
»Guten Morgen, Mylord. Darf ich Ihnen Kaffee bringen?«
»Das dürfen Sie«, antwortete White Haven lächelnd, »aber ich glaube, ich möchte vorher ein Glas Saft und trinke den Kaffee nach den Waffeln. Wenn ich richtig vermute, brauche ich etwas, um den Sirup aus meinem Kreislauf zu spülen.«
»Wie Sie wünschen, Mylord«, sagte MacGuiness und blickte Honor an. »Noch eine Portion, Mylady?« fragte er.
»Äh, ja. Ja, vielen Dank, Mac«, antwortete sie. Zufrieden kehrte der Steward in die Küche zurück.
So kurz die Unterbrechung auch gewesen war, sie hatte Honor genügt, um ihre wirren Gedanken zu ordnen. Sie sah White Haven an, den nun andere Fragen beschäftigten als die Verlockung, die am vergangenen Abend seine Gefühle gefärbt hatte. Der Earl war kaum der erste, der sich über ihren unbändigen Appetit wunderte, und während sie normalerweise kommentarlos darüber hinwegging, fand sie die Frage ihrer Nahrungsaufnahme im Moment erfrischend normal – im Vergleich zu gewissen anderen Problemen. Deshalb faßte sie den Entschluß gern, sich ihm zu erklären.
»Sie fragen sich, weshalb ich nicht aussehe wie einer dieser Zeppeline aus der Prä-Raumfahrt-Epoche, stimmt’s, Mylord?« erkundigte sie sich mit verschmitztem Lächeln.
»Ich … auf keinen Fall …« White Haven errötete. Harringtons direkte Frage hatte ihn überrascht, und er hatte deshalb keine Zeit gehabt, sich eine charmante Antwort zu überlegen. Als sie glucksend auflachte, errötete er noch mehr.
»Denken Sie sich nichts dabei, Mylord. Mike Henke zieht mich unablässig damit auf, dabei gibt es eine ganz simple Erklärung: Ich bin ein Dschinn.«
Der Earl stutzte, und jeder Ausdruck wich aus seinem Gesicht. Dann nickte er verstehend. Jemanden mit dem Begriff ›Dschinn‹ zu bezeichnen, galt als außerordentlich unhöflich. Das Wort war eine Verballhornung des englischen gene für ›Gen‹ und hatte ursprünglich ›Flaschenteufel‹ bedeutet. Im letzten Krieg von Alterde hatte sich gentechnisch manipuliertes Erbgut als unbändiger Dämon erwiesen, und die unguten Erinnerungen hingen den Menschen, die solche Gene in sich trugen, noch immer nach. Lady Harringtons Vater war Neurochirurg und ihre Mutter Genetikerin, so daß ihr dieses Etikett vermutlich weniger ausmachte als anderen, weniger erleuchteten. Erst mit dem allmählichen Verschwinden des Letzten Krieges aus dem allgemeinen Bewußtsein starben auch die Vorurteile gegenüber gentechnisch veränderten Menschen. In den frühen Tagen der Diaspora hatte es demgegenüber keinerlei Vorbehalte gegenüber gentechnisch Veränderten gegeben. Zahlreiche Kolonien waren von ›Genes‹ gegründet worden, die man zuvor eigens an ihre neue Umgebung angepaßt hatte.
»Das konnte ich nicht wissen, Mylady«, sagte White Haven schließlich.
»Wir reden nicht viel darüber, aber ich schätze, die Mehrheit aller Sphinxianer dürfte mittlerweile Dschinni sein«, erklärte Honor. Der Admiral blickte sie fragend an, woraufhin sie mit den Schultern zuckte. »Überlegen Sie doch«, begann sie. »Hochschwerkraftplaneten gehören zu den verbreitetsten ›feindlichen Umwelten‹. Sie wissen sicherlich, daß sogar heute noch die Lebenserwartung der meisten Schwerweltler unterdurchschnittlich kurz ist?« Der Admiral nickte. »Selbst mit Unterstützung der modernen Medizin kann man keinen Körper, der für ein Ge ausgelegt ist, auf einen
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