Honor Harrington 7. In Feindes Hand
einer silbernen Schaufel den ersten offiziellen Spatenstich führen würde, und Andrew hatte die Tribüne von Anfang an nicht gemocht. Damit kann ich gut leben , überlegte sie. Selbst wenn Andrew ein wenig übervorsichtig erscheinen mag; wenn man daran denkt, was Burdette und seine Wahnsinnigen getan haben …
Sie schob den Gedanken beiseite und nickte.
»Gut«, sagte sie ihren Gefolgsleuten, runzelte die Stirn und rieb sich die Nasenspitze. »Wo wir gerade von Lord Clinkscales und Beratungen sprechen, Miranda, ich muß mit Stuart Matthews sprechen. Ich benötige eine knappe Übersicht über die technische Seite von Sky Domes, damit ich auf dem aktuellen Stand bin, bevor wir uns mit Lord Prestwick treffen.«
»Jawohl, Mylady. Bitte vergessen Sie nicht die Audienz bei Diakon Sanderson. Die habe ich auf morgen fünfzehn Uhr gelegt.«
Trotz Mirandas respektvollem Ton hätte sich Honor am liebsten mit der flachen Hand auf die Stirn geklatscht, denn das wichtige Treffen mit Sanderson hatte sie völlig vergessen. Sanderson war der Berater und direkte Repräsentant von Reverend Sullivan. Honor hoffte, daß ihr Sanderson in dieser Audienz Sullivans Unterstützung für ihr neustes Projekt mitteilen würde. Zwar hatte sie keinen Anlaß, etwas anderes zu vermuten, andererseits kannte sie Sullivan noch nicht sehr gut. Der neue Reverend unterschied sich beträchtlich von dem sanften Julius Hanks, dessen Nachfolge er angetreten hatte. Niemand hätte die Glaubensstärke des ermordeten Reverends in Frage stellen können, denn trotz seiner gewinnenden Art hatte er einen stählernen Willen und ein Rückgrat aus Titan besessen, ohne jemals die Konfrontation zu suchen. Seine Ziele hatte er durch eine Art spirituellen Aikidos erreicht, indem er seine lautstärksten Gegner durch den Zauber seines Humors und seiner durchdringenden Güte zu Verbündeten machte. Honor hegte keinen Zweifel, daß die Kirche ihn zum frühestmöglichen Zeitpunkt zur Heiligsprechung vorsehen würde, und jeder, der ihn gekannt hatte, würde seine Erhebung in den Stand der Heiligkeit mit Begeisterung befürworten.
Jeremiah Sullivan hingegen war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Dank Nimitz wußte Honor, daß er ebenso fromm war wie Hanks; während der alte Reverend für die Welt, in der er lebte, oft ein wenig zu weich erschienen war, marschierte Sullivan wie ein Wirbelsturm durchs Leben. Jahrelang war er Hanks’ rechte Hand gewesen (und wenn es sein mußte, sein ›Vollstrecker‹). Nachdem er zum Nachfolger Hanks’ als Haupt der Sakristei ernannt wurde, hatte er so gut wie alle bestehenden Verfahrensweisen übernommen. Durch sein belebendes, aggressives und zuzeiten überwältigend energisches Temperament unterschied er sich sehr von Hanks, und so ganz hatte sich die Kirche noch nicht an den neuen Führungsstil gewöhnt.
Auf lange Sicht würde sich Sullivan als positiv für Grayson erweisen, hoffte Honor. Was immer er beabsichtigte, erreichte er mit Methoden, die Hanks niemals in den Sinn gekommen wären. Seine Ergebenheit zu Gott, seiner Gemeinde, seiner Kirche und seinem Protector – in genau dieser Reihenfolge – stand jedenfalls völlig außer Frage.
Leider war Sullivan, gesellschaftlich gesehen, noch konservativer als Hanks es gewesen war; genauer gesagt, als Hanks nach dem Bündnis Graysons mit Manticore geworden war. Der neue Reverend betonte immer wieder, daß die Kirche den Reformkurs des Protectors weiterhin unterstütze, und auch seine Position zur Gutsherrin von Harrington hätte kaum noch günstiger ausfallen können. Trotzdem wußte Honor genau, daß dem neuen Reverend eine Frau als Gutsherr unnatürlich vorkam. Gefühlsmäßig lehnte er die jüngsten gesellschaftlichen Veränderungen seiner Welt ab, aber trotzdem zwang sich Sullivan zu tun, was sein Verstand und sein Glaubensverständnis von ihm verlangten.
Obwohl er damit Honors Respekt gewonnen hatte, befürchtete sie dennoch schon seit langem, seine Gefühle könnten irgendwann die Oberhand über seinen Verstand gewinnen. Dann käme es wahrscheinlich zu einer heftigen Kollision zwischen Honor und dem Reverend – oder zwischen dem Reverend und Protector Benjamin, was noch schlimmer wäre. Und wenn man bedachte, wen Honor mit der Leitung der Klinik betrauen wollte …
»Verzeihen Sie, Mylady«, unterbrach White Haven ihr Nachsinnen.
Honor schüttelte ungeduldig den Kopf und blickte den Earl an. »Ich kam nicht umhin zuzuhören«, erklärte er. »Darf ich fragen, zu welchem Anlaß
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