Honor Harrington 7. In Feindes Hand
Kronprinzen und -prinzessinnen adoptiert worden, daß ein Frühstück im Mount Royal Palace schon befremdlich erschien, wenn keine Baumkatzen daran teilnahmen. Trotzdem wirkte es in höchstem Maße ungewöhnlich, daß ebenso viele ‘Katzen am Tisch saßen wie Menschen.
Natürlich treiben sich noch elf weitere irgendwo in Harrington House herum , erinnerte er sich. Wer sich wohl um Samanthas Junge kümmert? White Haven wünschte ihm oder ihr jedenfalls viel Glück dabei. Nach allem, was er am Vortag von dem Nachwuchs gesehen hatte, mußten die Aufpasser für jede Atempause, die sich ihnen bot, tiefste Dankbarkeit empfinden, und der Admiral war von Herzen erleichtert, daß dieser Kelch an ihm vorübergegangen war.
Belustigt wandte er sich wieder den Düften zu, die durch die offene Tür am anderen Ende ins Eßzimmer gelangten. Es roch so köstlich – und das üppige Butteraroma verriet ihm, daß diese ›Waffeln‹ wirklich so schwer waren, wie Lady Harrington gesagt hatte. Er warf ihr einen Blick zu, wobei er die große, gefüllte Kakaotasse neben ihrem Teller bemerkte. White Haven legte den Kopf schräg und fragte sich, wie sie so schlank bleiben konnte, obwohl sie doch offenbar Süßigkeiten sehr gern hatte. Das Training konnte nicht der einzige Grund sein; so viele Kalorien verbrannte niemand in der Turnhalle.
Honor spürte seine Aufmerksamkeit – und daß er Spekulationen anstellte. Worüber White Haven spekulierte, konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen; jedenfalls erschien es ihr anders als der plötzliche Ausbruch körperlichen Interesses am Abend zuvor. Sie überlegte, ob sie sich über diesen Wechsel freuen sollte, und hätte sich im nächsten Augenblick am liebsten wütend geschüttelt. Selbstverständlich war sie froh! Sie hatte dem Frühstück mit gewissem Bangen entgegengesehen, denn hinter ihr lag nicht gerade eine ruhige Nacht. Immer wieder hatte sie sich jene letzten Minuten in der Bibliothek ins Gedächtnis gerufen und von allen Seiten überdacht, als hätte sie es mit einem körperlichen Jucken zu tun, bei dem sie das Kratzen nicht lassen konnte. Sie müsse sich keine Sorgen machen, hatte sie sich schließlich versichert, um ihre im Kreis verlaufenden Überlegungen abzuschließen. Es handele sich um eine vorübergehende Erscheinung, ein Aufblitzen, bei dem White Haven nicht wissen könne, daß sie es mit ihm geteilt hatte. Etwas, das White Haven tief in einen Winkel verbannen werde, wo es ihre berufliche Zusammenarbeit nicht beeinträchtige.
Leider hatte sie sich in ihrem Innersten geweigert, auf diese beruhigende, tröstliche Logik einzugehen.
Wie lächerlich! Sie war über fünfzig T-Jahre alt und schon lange kein Schulmädchen mehr! Sie hatte es nicht nötig, die ganze Nacht wach zu liegen und zu überlegen, was wohl ein Mann von ihr dachte, der sie zuvor noch nie als Frau beachtet hatte. Erst recht bei diesem Mann hatte sie das nicht nötig! Trotzdem hatte sie kaum schlafen können, und es nutzte ihr gar nichts, wenn sie sich nun selbst deswegen ins Gebet nahm. Honor senkte den Blick auf ihren Teller und musterte die mit Butter und Sirup getränkten Reste ihrer zweiten Waffelportion. Sie mußte sich zusammenreißen!
Was stimmte denn eigentlich nicht? Erleichtert sollte sie sein, daß White Haven nicht mehr in diesen Bahnen über sie dachte. Und erleichtert war sie auch. Nur regte sich in ihr Widerstand gegen diese Erleichterung. Bei eingehenderer Betrachtung war sie geradezu gereizt und ärgerlich auf White Haven, weil er die Wahrnehmung ihrer Weiblichkeit irgendwo tief in sich verschloß – obwohl sie sich genau das gewünscht hatte. Gleichzeitig verspürte sie jedoch ein irrationales Schuldgefühl, als wäre ihre Gereiztheit ein Betrug an Paul Tankersley. Honors Gesicht verriet ihren inneren Gefühlsorkan mit keiner Regung. Nur Nimitz stellte fragend die Ohren auf, als er ihre alberne Fixierung auf die Gedanken und Empfindungen eines anderen Menschen spürte. Honor knirschte geistig mit den Zähnen, denn sie begriff, daß sie gerade die Neugierde des Baumkaters geweckt hatte. Aus seinen Impulsen sprach unleugbar eine gewisse hämische Schadenfreude, und selbst wenn Honor nicht mit ihm verbunden gewesen wäre, hätte sie die Belustigung in seinen grasgrünen Augen lesen können. Nicht allzu oft fand er ihr Verhalten so lächerlich, daß er seine Einschätzung vor ihr nicht mehr verbergen konnte, diesmal aber verliehen ihm seine empathischen Fähigkeiten offenbar eine ganz andere
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