Honor Harrington 7. In Feindes Hand
der geeignete Mann sei, aber es bestand immer die Möglichkeit, daß die Akte den falschen Anschein erweckte oder daß unvereinbare Naturelle zu unvorhersehbaren Querelen führten, welche ein Kommandoteam, das auf dem Papier hervorragend ausgesehen hatte, zum Untergang verurteilen. Dafür wäre ihr letzter Flaggkommandant, Alfredo Yu, fast zum Fallbeispiel geworden. Die Schuld hatte nicht bei dem Mann gelegen; Honor hatte nur schwer vergessen können, daß ihr Flaggkommandant ein Ex-Havenit war, bei dessen Angriff auf Grayson einst ihr väterlicher Freund Raoul Courvosier ums Leben gekommen war. Zum Glück handelte es sich bei Alfredo Yu um einen grundsätzlich guten Menschen, und deshalb hatte Honor mit Nimitz’ Hilfe ihre Voreingenommenheit überwinden können. Yus Leistungen hatten entscheidend zum siegreichen Ausgang der Vierten Schlacht von Jelzins Stern beigetragen.
Abgesehen von der verständlichen Anspannung bei der ersten Begegnung mit seiner neuen Geschwaderchefin, schien Greentree sich und sein Schiff in der Gewalt zu haben. Nun deutete er auf den drahtigen, schwarzhaarigen, jugendlich wirkenden Mann neben sich.
»Commander Marchant, Mylady, mein Erster Offizier«, sagte Greentree. Für seinen Rang war Marchant selbst in der Navy von Grayson sehr jung, im Gegensatz zu seinem Kommandanten jung genug, um die Prolong-Behandlung für die erste Generation zu erhalten. Auch seine Dienstakte war exemplarisch, doch seine huschenden Emotionen, die Honor beim Händeschütteln empfing, unterschieden sich deutlich von denen Greentrees. Hinter der unerschütterlichen Sicherheit, die seine erstaunlich grünen Augen vermittelten, waren seine Gefühle defensiv zu einem engen Knoten geschlungen, und Honor mußte an sich halten, um nicht vor Mitgefühl zusammenzuzucken.
»Commander«, begrüßte sie ihn in ungezwungenem Ton.
»Mylady.« Marchant sprach angespannt, abgehackt – auf keinen Fall respektlos, aber mit einer Gezwungenheit, die seinen inneren Aufruhr widerspiegelte.
Seine Anspannung überraschte Honor keineswegs, denn ebenso wie Greentrees hatte sie auch seine Akte durchgesehen, und deshalb wußte sie, daß Solomon Marchant ein entfernter Vetter des unbetrauert verstorbenen Edmond Marchant war. Aufgrund der ausgedehnten, unentwirrbaren Clanstrukturen, die durch Graysons schroffe Umwelt entstanden waren, gab es viele Menschen, die mit Edmond Marchant verwandt waren, und die meisten Angehörigen des Marchant-Clans waren so anständig und gesetzestreu wie andere auch. Nur war gerade Edmond Marchant der bigotte, reaktionäre Priester gewesen, der Honor zuerst zu diskreditieren versucht hatte und sie später sogar ermorden lassen wollte; alles zu dem einen Zweck, die Reformen, die sie und Protector Benjamin nach Grayson gebracht hatten, aus dem Gleis zu werfen.
Solomon Marchant traf daran keinerlei Schuld; Honor bezweifelte sogar, daß er seinen Vetter Edmond überhaupt gekannt hatte, doch ganz offensichtlich fühlte der Commander sich schuldig. Das war furchtbar unfair sich selbst gegenüber, und in gewisser Weise auch gegenüber Honor, denn er unterstellte ihr damit, ihn für den Fanatismus eines anderen verantwortlich zu machen. Sein Leiden nahm sie nur allzu deutlich wahr. Doch das wußte er nicht, und sie konnte darauf keinen Bezug nehmen, ohne für ihn alles noch viel schlimmer zu machen.
»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Commander«, sagte sie. »Die Argumentation in Ihrem Essay über neue Geleitzugtaktiken in den Proceedings haben mich beeindruckt. Darüber würde ich gern im einzelnen mit Ihnen diskutieren.«
»Aber gewiß, Mylady.« Marchants Lider zuckten – in diesem Moment wirkte er weniger unerschütterlich, aber dafür um so menschlicher. Honor drückte ihm fest die Hand. Der enge Knoten in seinem Innersten verschwand dadurch nicht, aber vielleicht hatte er sich doch ein wenig gelockert. Ihn völlig zu lösen, würde zweifellos viel Zeit in Anspruch nehmen, doch wenigstens schien Honor den richtigen Ton getroffen und einen Anfang gemacht zu haben.
»Und diesen Gentleman brauche ich Ihnen wohl nicht vorzustellen, Mylady«, fuhr Greentree fort und wies mit einer Kopfbewegung auf den adretten Commander der RMN neben Marchant. Andreas Venizelos war so klein wie die meisten Graysons, aber er wirkte in seiner maßgeschneiderten Uniform überaus schwungvoll. Er war dunkelhaarig, schlank und drahtig, hatte eine Adlernase und verfügte über einen Sinn für perfekte Haltung und Balance, um den ihn
Weitere Kostenlose Bücher