Honor Harrington 7. In Feindes Hand
der Wayfarer gemangelt hatte. Trotz ihrer kleineren Masse überstand die Alvarez schwerere Schäden und blieb dennoch gefechtstüchtig; außerdem war sie sehr viel schneller und weitaus manövrierfähiger.
Die Jason Alvarez markierte einen Wendepunkt im Kriegsschiffbau. Wie die Kreuzer der RMN trug dieser graysonitische Typ seine Breitseitenbewaffnung auf einem einzigen Deck, doch zeigte der Schwere Kreuzer erheblich weniger Stückpforten als ihre manticoranischen Zeitgenossen. Dafür gab es einen guten Grund.
Die Jason Alvarez war das Typschiff der ersten graysonitischen Schweren Kreuzerklasse, und während ihre Systeme zur Elektronischen Kampfführung und zur Raketenabwehr mehr oder weniger denen der manticoranischen Star-Knight -Klasse entsprachen, hatten die Graysons von Offensivsystemen ganz eigene Vorstellungen. Dazu hatten sie eine große Dosis … ›Selbstvertrauen‹ benötigt, überlegte Honor, denn keine Navy wich beim Formulieren der Spezifikationen ihres ersten modernen Kampfschiffs leichten Herzens von der gesammelten überlieferten Weisheit der übrigen Galaxis ab, schon gar nicht, wenn diese Navy keinerlei Erfahrungen mit Kriegführung im offenen Weltraum besaß. Genau dazu hatte sich die GSN entschieden. Die Alvarez trug nur halb so viele Energiewaffen wie eine Star Knight , was die Anzahl der Ziele drastisch reduzierte, die sie gleichzeitig angreifen konnte. Darüber hinaus erfuhr sie deswegen eine kleine, aber vielleicht eines Tages entscheidende Einbuße in ihrer Raketenabwehrkapazität, denn Sternenschiffe benutzten häufig die Strahlbatterien der Breitseiten, um in Raketenduellen auf große Entfernung ihre eigens dazu vorgesehenen Nahbereichs-Abwehrlaser zu unterstützen. Durch den Verzicht auf eine große Anzahl von Energiewaffen hatte das graysonitisch-manticoranische Entwicklungsteam jedoch zwanzig Prozent mehr Raketenwerfer unterbringen und zudem Graserprojektoren lafettieren können, die schwerer waren als die der meisten Schlachtkreuzer. Nach den überlieferten Weisheiten blieb ein Schlachtkreuzer gegen die eigene Tonnage an Schweren Kreuzern immer siegreich – aber wo die Alvarez ins Spiel kam, sollte man nach Honors Meinung mit der Anwendung konventioneller Weisheiten sehr vorsichtig sein.
Honor beabsichtigte indes nicht, mit ihren Schiffen gegen havenitische Schlachtkreuzer vorzugehen. Öfter als ihr lieb war hatte sie ungleiche Gefechte gegen überlegene Gegner geführt, und in Zukunft wollte sie dergleichen lieber anderen überlassen.
Bei dem Gedanken verzog sie die Lippen. Während die Pinasse auf den Mittschiffshangar des Schweren Kreuzers zuhielt, musterte Honor den Weltraum rings um die Alvarez . Obwohl die anderen Schiffe von CruRon 18 nahebei auf weiteren Parkumlaufbahnen den Planeten Grayson umkreisten, befanden sie sich so weit entfernt, daß sie lediglich als winzige Fünkchen reflektierten Sonnenlichts zu sehen waren – bis auf eine Ausnahme: HMS Prince Adrian , die weniger als dreißig Kilometer backbords achteraus der Alvarez lag. Das war nur angemessen, denn sie gehörte dem rangdienstältesten Kommandanten des Geschwaders, der Honors stellvertretender Kommandeur sein würde, und Honors Lächeln erhielt durch zahlreiche Erinnerungen tiefe Wärme.
Die Prince Adrian war kleiner, viel älter und schwächer bewaffnet als das Geschwaderflaggschiff, doch Captain Alistair McKeon kommandierte sie nun schon fast sechs T-Jahre. Wenn es in der ganzen Flotte ein effektiveres Schiff gab, so hatte Honor noch nicht davon gehört … und eins wußte sie: daß es in keiner Flotte einen verläßlicheren Kommandanten gab – oder Freund.
Als die Pinasse den Impeller abstellte und mit Hilfe der Schubdüsen zu manövrieren begann, verschwand die Prince Adrian aus Honors Blickfeld. Honor zog das Barett unter der linken Schulterklappe hervor. Sie strich es glatt, und dabei verschwand das Lächeln aus ihren Zügen, denn es war schwarz. Zum ersten Mal seit einundzwanzig T-Jahren trat sie Weltraumdienst als RMN-Offizier an, ohne das weiße Barett zu tragen, das die Kommandanten der Sternenschiffe aus der Masse hervorhob. Tatsächlich würde sie das weiße Barett niemals wieder tragen, und dieser Gedanke versetzte ihr einen Stich. Intellektuell war ihr klar, wieviel Glück sie damit gehabt hatte, bereits so viele Schiffe kommandiert zu haben, aber sie wußte genau, daß es sie immer nur nach einem weiteren verlangen würde … und daß sie dieses eine weitere Schiff niemals erhalten
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