Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
weiseren, vorsichtigeren Zeitgenossen als zusätzlichen Fallstrick, an dem man scheitern und sich den Grimm der Vorgesetzten und der SyS zuziehen konnte. Für jede Flotte waren solche Offiziere von größerem Wert als die Detweiler-Rubine, doch besonders die Volksflotte hatte sie bitter nötig.
Äußerlich glich Bürger Captain Leander Joubert, Giscards neuer Stabschef, Macintosh sehr. Er war größer – mit 185 Zentimetern überragte er MacIntoshs 1,81 Meter – und hatte keine grauen, sondern braune Augen, aber beide zeigten den gleichen dunklen Teint und das gleiche schwarze Haar, und ihr Altersunterschied betrug nur vier T-Jahre. Vom Äußeren abgesehen hatte Joubert indes mit Macintosh und Tyler nichts gemein. Mit einunddreißig war er für seinen Rang noch jünger als Tyler für den ihren, was bei Giscard unter normalen Umständen eigentlich bereits sämtliche Alarmsignale ausgelöst hätte. Nicht dass der Mann nicht tüchtig gewesen wäre. Tüchtig war er. Doch wenn jemand kometenhaft in weniger als vier T-Jahren vom Lieutenant zum Captain aufrückte, musste man sich fragen, ob es dafür nicht andere Gründe gab als soldatische Tüchtigkeit. Nahm man indes hinzu, dass Bürgerin Kommissar Pritchart darauf bestanden hatte, dass man Joubert auf den Posten des Stabschefs setzte, so brauchte man sich gar keine Frage mehr zu stellen – zumal Pritchart dafür die Rückendeckung ungenannt gebliebener Kreise der Systemsicherheit gehabt hatte. Giscard hatte so energisch er es nur wagte gegen Jouberts Ernennung protestiert, denn man konnte von keinem Admiral verlangen, dass er sich freute, einen Informanten der SyS zum Stabschef zu bekommen. In Wirklichkeit aber war er mit Joubert erheblich zufriedener, als seine Beschwerden glauben machten. Schließlich gab es immer Möglichkeiten, die Spione von Vorgesetzten zu neutralisieren – besonders dann, wenn man genau wusste, wer die Spitzeldienste leistete.
Von den übrigen Stabsoffizieren wusste Giscard wenig zu sagen. Bürgerin Lieutenant Commander Julia Lapisch, Stabssignaloffizier, erweckte einen fähigen Eindruck, war aber sehr still. Sie war nur wenig älter als Tyler und schien zu der Sorte Offizier zu gehören, die sich ihr Überleben dadurch sicherte, dass sie völlig unpolitisch blieb. Aus ihrem Panzer kam Lapisch nur hervor, wenn es dienstlich wurde. Ihre Heimatwelt Midsummer besaß sehr niedrige Schwerkraft, und Lapischs zierliche, schlanke Statur verlieh ihr eine geradezu elfenhafte Ausstrahlung, als befände sie sich mit dem Rest des Universums nicht ganz auf einer Wellenlänge.
Bürger Lieutenant Madison Thaddeus, der Nachrichtenoffizier, stellte ein Rätsel dar. Mit zweiundvierzig war er der älteste Offizier in Giscards Stab, und das trotz seines relativ untergeordneten Ranges. Stets hatte er ausgezeichnete Beurteilungen erhalten und genoss den Ruf eines fähigen Analytikers. Es hieß, er habe die Begabung, sich ganz in den Kopf des Gegners versetzen zu können, wenn er dessen Absichten bewerten sollte, und trotzdem schien er auf dem Rang eines Lieutenants festzusitzen. All das deutete darauf hin, dass in seiner SyS-Akte (die zu lesen noch nicht einmal Pritchart die Zeit gefunden hatte) jemand Thaddeus’ politische Zuverlässigkeit in Zweifel gezogen hatte. Jedenfalls erschien es unwahrscheinlich, dass es eine andere Erklärung für seinen Beförderungsstopp gab. Dass man ihn nicht hingerichtet oder zumindest von einem sensiblen Posten wie dem des Stabsnachrichtenoffiziers entfernt hatte, stellte gewiss ein seltenes Beispiel dafür dar, dass die Befähigung eines Offiziers über die Paranoia der SyS triumphiert hatte. Bürgerin Lieutenant Jessica Challott, Giscards Versorgungs- und Nachschuboffizier, war Mitte dreißig – ebenfalls alt für diesen Rang in einer Flotte, in der die Systemsicherheit mit dem Feind Hand in Hand arbeitete, um auf höheren Dienstgraden viele freie Stellen zu schaffen. Anders als bei Thaddeus hatte Giscard bei ihr jedoch den unangenehmen Verdacht, dass ihr Karrieretief allein auf dienstliche Gründe zurückzuführen sei. Zwar waren ihre Bestandsverzeichnisse und Konten immer tadellos, doch sie besaß eine Erbsenzählermentalität, mit der sie besser in eine Werft gepasst hätte als auf ein Schiff. So ungern Giscard es auch zugab, natürlich mussten die Versorgungsoffiziere sicherstellen, dass das von ihnen ausgegebene Material so sparsam wie möglich verwendet wurde – ohne dass dadurch die Effektivität beeinträchtigt
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