Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
die zusätzlichen Pflichten, die diese Macht und Verantwortung mit sich brachten, auch neue Gefahren heraufbeschwören, doch diesem Risiko stellten sich die oberen Etagen der havenitischen Bürokratie tagtäglich. Das Komitee für Öffentliche Sicherheit und besonders das Amt für Systemsicherheit besaßen die unangenehme Angewohnheit, jeden, der sie enttäuschte, zu entfernen – und zwar für immer. Ganz so schlimm wie in den Streitkräften war es indes nicht (zumindest war es beim Militär sehr schlimm gewesen, bevor Esther McQueen das Kriegsministerium übernahm), aber in der Vergangenheit waren bereits viele in den Klauen der SyS verschwunden, weil sie sich mit zu wenig Eifer für die Sache des Volkes engagiert hatten.
Schuld fließt bergab , dachte Boardman. Und wenn aus dem Zweiten Stellvertretenden Direktor Boardman erst der Bürger Minister Boardman geworden wäre, könnte er mühelos alle Schuld einem Untergebenen zuweisen – zum Beispiel der Ersten Stellvertretenden Direktorin Younger.
Bei dem Gedanken gluckste er. Er beschloss, sich die Hinrichtung noch ein letztes Mal anzusehen, bevor er Feierabend machte.
Auch Esther McQueen arbeitete noch spät.
Als Zugeständnis an ihren neuen Aufgabenbereich trug sie nüchterne Zivilkleidung von strengem Zuschnitt und nicht die Admiralsuniform, auf die sie ein Recht besaß. Die Arbeitsbelastung war die Gleiche geblieben, und so schob sie den Stuhl zurück und rieb sich müde die Augen, als sie endlich die letzte Seite des allerneusten Lageberichts durchgelesen hatte. Ein weiterer Bericht wartete auf sie, und danach noch einer und viele mehr – eine Warteschlange an Papierkram, die von ihrem Büro im Oktagon hier auf Haven bis ins Barnett-System reichen musste. Allein der Gedanke an die vielen anderen Berichte führte dazu, dass sie sich noch müder fühlte, doch gleichzeitig stieg etwas in ihr auf, das sie in den letzten acht Jahren nicht oft empfunden hatte: Hoffnung. Ein zerbrechlich’ Ding blieb sie, diese Hoffnung, doch sie bestand. Vielleicht sah nicht jeder diesen Silberstreif, schon gar nicht ihre zivilen Vorgesetzten, doch Augen, die wussten, worauf sie achten sollten (und Zugang zu allen Daten besaßen), erkannten ihn sehr wohl.
Die Stoßkraft der Manticoranischen Allianz hatte nachgelassen – vielleicht war sie sogar verebbt, wenn dieser Ausdruck nicht zu stark gewählt war. Es schien, als hätte die Allianz alle Mittel für die Eroberung von Trevors Stern gesammelt, aber nun, da dieses eminent wichtige Sonnensystem genommen war, sah es so aus, als habe die Allianz ihr Pulver verschossen. Bevor man McQueen nach Haven beorderte, hatte sie erwartet, dass Hamish Alexander nicht lange innehalten und sich unverzagt auf das Barnett-System stürzen würde, doch das war nicht geschehen. Vielmehr saß er nach den jüngsten Meldungen der Abteilung Feindaufklärung vom Amt für Systemsicherheit nach wie vor im Jelzin-System und versuchte, aus all den Einzelschiffen und Teilverbänden, die ihm von den Alliierten freundlicherweise überlassen wurden, eine brandneue Flotte zusammenzustellen. Erst durch die Kenntnis anderer Berichte, die ihr mittlerweile zugänglich waren, hatte sie den Grund dafür erkannt.
Zischend öffnete sich die Tür ihres Büros, und sie blickte mit einem schiefen Lächeln auf, als Ivan Bukato mit einem Ordner voll Datenchips unter dem Arm eintrat. Unter dem alten Regime wäre Bukato der Chef des Admiralstabs der Volksflotte gewesen, doch diese Position war mit allen anderen ›elitären‹ Planstellen der Legislaturisten gestrichen worden. Unter der Neuen Ordnung war er nur Bürger Admiral Bukato, der zufällig alle Pflichten eines Chefs des Admiralstabs versah, aber nur sehr wenige Privilegien genoss, die dem Oberkommandierenden der Volksflotte früher zugestanden hatten.
Er blieb gleich in der Tür stehen und zog die Augenbrauen hoch, als er McQueen noch immer hinter dem Schreibtisch sitzen sah. Wirklich erstaunt war er nicht, denn wie ihre anderen Untergebenen hatte er schon längst bemerkt, dass die neue Ministerin gewohnheitsmäßig länger und härter arbeitete als sie es von anderen verlangte. Trotzdem schüttelte er tadelnd den Kopf.
»Sie sollten gelegentlich mal ans Nachhausegehen denken, Bürgerin Minister«, sagte er milde. »Sie würden sich wundern, was eine durchgeschlafene Nacht hier und da mit Ihrer Tatkraft anstellen könnte.«
»Dazu liegt im Stall noch immer zu viel Mist, den wir mit dem dicken Strahl
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