Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
ausspritzen müssen«, entgegnete sie ebenso ironisch.
Bukato zuckte die Achseln. »Das mag schon sein, aber ich wage zu behaupten, dass Sie sich an der Front solch einen Schlafmangel nicht leisten würden.«
Sie grunzte wie ein noch verstimmter Rüpel, der bei einer Kneipenschlägerei einen Volltreffer einstecken muss. Zwischen der Leitung des Kriegsministeriums und dem Kommando über eine Flotte an der Front bestand ein himmelweiter Unterschied. Als Flottenchefin konnte sie nie wissen, ob nicht im nächsten Moment ein feindlicher Verband aus dem Hyperraum kam und ihren Befehlsbereich angriff. An der Front musste man stets aufmerksam und auf diese Eventualität vorbereitet sein; stets musste sie über Energiereserven verfügen, auf die sie notfalls zurückgreifen könnte. Als Kriegsministerin war sie Wochen von der Front entfernt. Wenn ihr eine Sache zur Entscheidung vorgelegt wurde, handelte es sich selten um etwas, bei dem es um Minuten ging – oder um Stunden, selbst um Tage. Wenn es um ein zeitkritisches Problem ging, so hatten die Leute an der Front es entweder bereits gelöst, oder sie waren tot. In beiden Fällen konnte sie, wenn etwas zu Bruch gegangen war, nur versuchen, den Scherbenhaufen aus der Ferne wieder zusammenzusetzen. McQueens Job umfasste vielmehr andere Dinge: Sie bestimmte die allgemeinen Richtlinien, wählte die Offiziere aus, die ihrer Meinung nach am besten geeignet waren, legte die Ziele fest, gegen die sie eingesetzt werden sollten, und versuchte ihnen angesichts der mordlustigen Idioten bei der SyS den Rücken freizuhalten und ihnen das Material zu verschaffen, das sie benötigten, um besagten Einsatz überhaupt durchführen zu können. Wenn es ihr in ihrer überaus reich bemessenen Freizeit noch gelang, die Moral der Volksflotte wiederherzustellen, die technische Unterlegenheit ihrer Waffensysteme zu überwinden, durch Zaubertricks die Dutzende Schlachtgeschwader zu ersetzen, die Haven seit Kriegsausbruch verloren hatte, und die Manticoraner abzulenken, damit sie dem Komitee für Öffentliche Sicherheit nicht auch noch den Rest der Volksrepublik abjagten, so wäre das schon eine Zusatzleistung über das bloße Sicherstellen des Überlebens hinaus gewesen.
Bei dem Gedanken musste sie erneut schief grinsen. Sie stellte ihren Stuhl auf Kipp, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und musterte Bukato mit ihren hellen grünen Augen. Noch immer war er ihr fremd – Rob Pierre und Oscar Saint-Just waren zu intelligent, als dass sie ihr erlaubt hätten, sich ihre unmittelbaren Untergebenen selbst auszusuchen. Die Zusammenarbeit mit Bukato funktionierte jedenfalls gut. Wie sein humoriger Ton zeigte, schien er sich mit ihr als Chefin allmählich wohl zu fühlen. Nicht etwa, dass bei den gegenwärtigen Verhältnissen innerhalb der Volksrepublik irgendjemand dumm genug gewesen wäre, sich in Bezug auf einen Vorgesetzten auch nur das leiseste Unbehagen anmerken zu lassen. Besonders dann nicht, wenn diese Chefin zugleich gerade erst in das Komitee für Öffentliche Sicherheit aufgenommen worden war.
»Ich sollte vermutlich wirklich zu geregelteren Arbeitszeiten finden«, stimmte sie ihm zu und fuhr sich flüchtig mit der Hand über das dunkle Haar. »Früher oder später muss ich aber einfach all die Probleme in einen Karton packen können, die mein lieber Vorgänger wie Unkraut hat wuchern lassen.«
»Mit allem schuldigen Respekt, Bürgerin Minister, Sie haben bereits mehr Gestrüpp abgeholzt, als ich es vor einigen Monaten noch für möglich gehalten hätte. Deshalb sähe ich es auch nicht gerade gerne, wenn Sie morgen vor Überlastung zusammenbrechen würden und ich schon wieder einen neuen Kriegsminister einweisen müsste.«
»Ich versuche, das im Hinterkopf zu behalten«, erwiderte sie trocken und lächelte ihn an. Doch hinter ihrem Lächeln fragte sie sich insgeheim, wem Bukatos Loyalität wohl wirklich gehörte. Heutzutage war das so beklagenswert schwer zu sagen – und dabei wichtiger denn je. Oberflächlich gab sich der Bürger Admiral so fleißig, zuverlässig und treu, wie man es sich nur wünschen konnte, doch oberflächliche Eindrücke waren tückisch. Genau genommen war es sogar gerade seine augenscheinliche Treue, die ihr Unbehagen weckte, denn sie wusste genau, dass die meisten Angehörigen des Offizierskorps sie für gefährlich ehrgeizig hielten. Das konnte sie den Leuten nicht verdenken, denn sie war tatsächlich ehrgeizig, und für gewöhnlich gelang es ihr trotz ihres
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