Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
Gefühlen für Emily; vielmehr waren seine Emotionen für Honor von Emily losgelöst gewesen, vielleicht eine Ergänzung zu der Liebe, die er für seine Frau verspürte. Doch sich dem Gefühl zu ergeben war trotzdem ein Betrug, der in vielerlei Hinsicht schwerer wog als seine Affäre mit Theodosia. Und indem Honor ihm seine Gefühle für einen Moment hatte anmerken können, hatte er sie in den Tod getrieben.
Nichts von alledem war geplant, und er hatte keine der beiden Frauen mit Absicht betrogen. Andere Menschen würden ohnehin nicht verstehen, weshalb er sich deswegen Gedanken machte, denn zwischen ihm und Honor war nie etwas geschehen. Doch er verstand seine Lage besser als jeder Fremde, und das verletzte sein Selbstbild zutiefst, auf eine Weise, wie seine Affäre mit Theodosia es nie vermocht hatte, denn diesmal besaß er keine Entschuldigung. Keine frische, blutige Wunde, die geheilt werden musste. Ihm blieb nur das bestürzende Wissen, aus irgendeinem Grund und völlig unbeabsichtigt zwei völlig verschiedene und doch gleichsam großartige Frauen brennend zu lieben – und dass die eine für immer Invalidin und die andere tot war.
Und weiß Gott, das tat weh.
Der schlanke Leib einer Pinasse schob sich plötzlich hinter dem Armoplast in Sicht. Geräuschlos trieb sie im Vakuum auf die Pralldämpfer zu. White Haven holte tief Luft und rang um Fassung. Er hob die Hand, pulte den Ohrhörer aus dem Gehörgang und steckte ihn in die Tasche. Während der Trompeter der Benjamin the Great vortrat und die Ehrenwache Haltung annahm, zog White Haven seine Uniform glatt. Die Pinasse setzte sich graziös auf die Pralldämpfer, die Nabelschnüre schlängelten heran und verriegelten sich. Die Personenröhre näherte sich der Luke. Hamish Alexander, Dreizehnter Earl von White Haven, grinste schief, als die Ehrenwache unter den Augen eines geplagten graysonitischen Lieutenants ebenfalls Haltung annahm. Schließlich kam es zu Kriegszeiten nicht jeden Tag vor, dass der Erste Raumlord der Royal Manticoran Navy und Ihrer Majestät Lordschatzkanzler ein benachbartes Sonnensystem besuchte. Die Crew der Benjamin the Great war fest entschlossen, alles richtig zu machen.
White Haven ebenfalls. So viel konnte er schon noch leisten, sagte er sich. Die Aufgaben. Die Pflicht. Wer er war und was er schuldete. Darin war er Emily und Honor sehr ähnlich. Keine von ihnen hätte je der Pflicht den Rücken gekehrt, oder? Deshalb sollte er wenigstens versuchen, sich der beiden außergewöhnlichen Frauen wert zu erweisen, die ihm so viel bedeuteten, und er maßregelte sich innerlich.
Du hast wirklich ein Talent, solche Momente der Selbsterkenntnis zu den … unpassendsten Gelegenheiten zu durchleben, was, Hamish? , verspottete er sich, und die Ecken seines Mundes hoben sich zu einem schiefen, gezwungenen Lächeln.
Vor vielen, vielen Jahren, als Hamish Alexander noch ein Midshipman im vierten Jahr war, hatte ihn ein Ausbilder beiseite genommen, nachdem eine Simulatorübung völlig aus dem Ruder gelaufen war. Eigentlich trug Hamish nicht die Schuld daran, doch er war der Kommandeur des Blauen Teams, und deshalb nahm er sie auf sich. Daher bestellte Lieutenant Raoul Courvosier ihn zu sich ins Büro und blickte ihm dort offen in die Augen.
»Es gibt zwo Dinge, die kein Befehlshaber – und übrigens kein einziges menschliches Wesen – je kontrollieren kann, Mr. Alexander«, sagte Courvosier damals: »Sie haben keinerlei Kontrolle über die Entscheidungen anderer, und Sie haben kein Mitspracherecht bei Gottes Tun. Ein intelligenter Offizier wird beides einkalkulieren und Spielraum dafür schaffen, aber ein weiser Offizier wird sich nicht die Schuld geben, wenn Gott vorbeikommt und ohne Warnung einen großartigen Plan durchkreuzt.« Der Lieutenant hatte sich in den Stuhl zurückgelehnt und ihn angegrinst. »Gewöhnen Sie sich daran, Mr. Alexander, denn wenn eins sicher ist im Leben, dann dass Gott einen eigenartigen Sinn für Humor hat – und ein noch bemerkenswerteres Gefühl für Timing.« Raoul, du wusstest immer die richtigen Worte, nicht wahr? , dachte Hamish Alexander. Er streifte die Wehmut ab und trat vor, um zu den klaren Hörnerklängen seinen Bruder und Sir Thomas Caparelli zu begrüßen.
20
»Ein prachtvolles Schiff hast du da abbekommen, Hamish«, sagte Lord William Alexander am Ende der ausgedehnten Führung durch die Benjamin the Great , als Lieutenant Robards, seines Zeichens Flaggleutnant White Havens, sie in die
Weitere Kostenlose Bücher