Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
»Ich gehe davon aus, dass du ihn aus einem besonderen Grund weggeschickt hast?«
»Allerdings«, gab White Haven zu. Er sah von seinem Weinglas auf und blickte nacheinander seine beiden Besucher an. »Genauer gesagt gibt es sogar zwo davon. In erster Linie plagt mich jedoch das Gefühl, dass ihr beide mehr Gründe habt, so weit herzukommen, als offiziell bekannt gegeben wurde. Außerdem hege ich einen unguten Verdacht, was einen der besagten Gründe betrifft. Angesichts dessen hielt ich es für besser, das Deck räumen zu lassen, damit wir allein aus manticoranischer Perspektive über meinen Verdacht reden können.«
»Aha?« William nippte erneut am Wein und sah den Bruder halb spöttisch, halb argwöhnisch an, dann lud er ihn ein fortzufahren, indem er die Augenbraue hochzog.
»Ich bin nun seit fast einem T-Jahr damit beschäftigt, die Achte Flotte aufzustellen«, antwortete White Haven unumwunden. »Eigentlich hätte dieser Prozess bereits vor neun Standardmonaten abgeschlossen sein sollen, und trotzdem habe ich noch immer nicht die Kampfstärke, die in meiner Order spezifiziert ist. Genauer gesagt, habe ich die Schiffe erhalten, die mir von Grayson, Erewhon und den anderen alliierten Raumstreitkräften versprochen wurden. Nur die avisierten manticoranischen Schiffe habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Die RMN schuldet mir mehr als zwo komplette Schlachtgeschwader – insgesamt siebzehn Wallschiffe –, und ich habe noch keine Depesche aus dem Sternenkönigreich erhalten, die etwa sagte, dass diese Schiffe morgen hier einträfen. Also darf ich wohl davon ausgehen, dass Allen Summervale das zwothöchste Regierungsmitglied und den höchsten aktiven Offizier der Admiralität hierher schickt, weil er dafür gewisse Gründe hat, und einer dieser Gründe besteht darin, mir – und dem Protector – zu erklären, wo die Schiffe bleiben?«
Er verstummte. Caparelli und William tauschten Blicke, dann sahen sie ihn wieder an.
»Das dürfen Sie«, sagte Caparelli leise. »Die Schiffe kommen nicht. Nicht morgen, meine ich, Mylord. Wir können sie Ihnen erst in zwo T-Monaten schicken – frühestens in zwo Monaten.«
»Das ist zu spät, Mylord«, entgegnete White Haven ebenso leise. »Wir warten ohnehin schon zu lange. Haben Sie den neuesten Monatsbericht über die geschätzte havenitische Stärke im Barnett-System gelesen?«
»Ja, das habe ich«, gab Caparelli zu.
»Dann wissen Sie, dass Theismans Kampfstärke schneller wächst als meine. Wir gewähren den Havies eine Atempause, in der sie sich wieder aufrappeln – und das können wir uns einfach nicht leisten. Vor allem jetzt nicht, wo auf ihrer Seite jemand wie Esther McQueen die Entscheidungen fällt«
»Wir wissen nicht, wie frei McQueen in ihren Entscheidungen wirklich ist«, warf Caparelli ein. »Pat Givens arbeitet daran. Ihre Experten besitzen nicht viele Informationen, mit denen sie arbeiten können. Doch ihrer Ansicht nach besteht eine Chance von höchstens fünfundzwanzig Prozent, dass das Komitee gleich welchem Raumoffizier den Spielraum lässt, eine eigene Strategie zu entwerfen. Noch immer fürchten sie sich zu sehr vor einem Militärputsch.«
»Bei allem schuldigen Respekt, Sir Thomas, aber da irrt sich Pat«, widersprach White Haven ihm mit tonloser Stimme. »Ich habe gegen McQueen gekämpft, und sie ist die beste Kommandeurin, die bei ihnen noch übrig ist. Das wissen die Havies, will ich meinen. Alles, was das ONI je über sie herausgefunden hat, weist ausdrücklich auf ihren Ehrgeiz hin. Wenn wir davon wissen, dann wissen Pierre und Saint-Just es erst recht. In Anbetracht dessen: Warum sollten die Havies ausgerechnet sie zum Kopf des Kriegsministeriums ernennen, wenn sie ihr nicht wenigstens eine gewichtige Rolle in der Formulierung der Strategie einräumen?«
»Ich kann deiner Argumentation nicht ganz folgen, Ham«, sagte William.
»Durchdenke es einmal vom Standpunkt der Havies, Willie. Wenn du von jemandem weißt, dass er deine Macht bedroht, setzt du ihn – oder sie – doch nur dann trotzdem in eine Machtposition, wenn du einen zwingenden Beweggrund hast – etwas, was für dich noch wichtiger ist als die Gefahr, die von dieser Person ausgeht. Wenn das Komitee für Öffentliche Sicherheit also McQueen ins Heimatsystem beruft und sie zur Kriegsministerin macht, dann nur, weil man im Komitee endlich begriffen hat, wie verfahren die Lage wirklich ist und dass nur ein Berufssoldat sie lösen kann – selbst wenn der fragliche Berufssoldat
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