Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
Systemsicherheit keineswegs vor Massenhinrichrungen zurück, doch Erschießungen hatten den Nachteil, endgültig zu sein – und den Staat allen Nutzens zu berauben, den jene Unruhestifter eines Tages womöglich boten. Wenn man sie einfach auf Hell absetzte und sie dort ließ, konnte man sie später immer noch abholen, wenn sich herausstellte, dass man sie für etwas Wichtiges benötigte.
Im Grunde schien das Amt für Systemsicherheit den Planeten Hell, besonders in Bezug auf die politischen Häftlinge, als eine Art ›Sparschweinchen‹ für Zwangsarbeiter zu betrachten. Selbst in den modernsten Industrien (welche die VRH nicht besaß) gab es eine Reihe von Aufgaben, die von unangenehm bis lebensgefährlich rangierten. Außerdem verfolgte die SyS eine Reihe streng geheimer Projekte, über die absolutes Stillschweigen bewahrt werden sollte, und unter den politischen Gefangenen auf Hell fanden sich immer Personen mit Qualifikationen, an denen in solchen Projekten Mangel herrschte. Vor Kriegsausbruch hatte die InAb Hell außerdem als ›Kolonistenquelle‹ oder als Quelle für Montageteams genutzt. Diese günstigen Arbeitskräfte brachte man auf die weniger idyllischen Welten, auf denen die Volksflotte Basen errichten musste. Nach Abschluss der Arbeiten kehrten die Zwangsarbeiter auf den Gefängnisplaneten zurück.
Aus all diesen Gründen erreichten immer wieder Gefangenentransporte den Planeten Hell, unweigerlich von Kampfschiffeskorten begleitet, ohne dass man sagen konnte, wann sie eintrafen. Man wusste nur, dass sie irgendwann unweigerlich kommen würden. Seltener lief ein Kriegsschiff der SyS, das in der Nähe stationiert war, den Planeten an, um sich mit frischen Lebensmitteln zu versorgen, oder um an der riesigen Raffinerie, welche die SyS in der Umlaufbahn unterhielt, Reaktormasse zu bunkern – und manchmal, um der Besatzung ein wenig Landgang auf Hell zu verschaffen.
An sich hätte man wohl nicht gedacht, dass sich Menschen freiwillig auf eine Gefängniswelt begaben, doch Camp Charon war tatsächlich recht luxuriös ausgestattet (die InAb hatte seinerzeit beschlossen, die auf diese Welt abgestellten Leute zu verwöhnen, und die Systemsicherheit fand keinen Grund, diese Politik zu ändern). Styx’ Klima ließ sich ohne weiteres mit den Bedingungen auf guten Urlaubswelten vergleichen. Auch das leuchtete ein, fand Honor. Es war nur vernünftig, die eigene Basis in den angenehmsten Breiten eines Planeten anzusiedeln, und wenn eine ganze Welt zur Auswahl stand, fand man immer wenigstens einige Stellen, an denen es sehr freundlich war.
Außerdem gehört dieser Planet der Systemsicherheit , dachte sie grimmig. Er gehört ihr mit allem Drum und Dran, und man fühlt sich hier sicher. Ich glaube, das ONI hat nie begriffen, wie wichtig Hell wirklich für die SyS ist. Auch wenn er abseits der Hauptrouten liegt und Monate vergehen können, ohne dass jemand vorbeischaut, so weiß doch jeder in der SyS, dass es ihn gibt. Für sie muss er eine Art Refugium sein, wie das ›Clubhaus‹ einer Jugendbande.
Sie schnaubte und wischte den Vergleich beiseite. Vermutlich besaß er eine gewisse psychologische Bedeutung, doch für das aktuelle Problem war er wirklich zweitrangig.
Und zur Lösung dieses Problems war die Erfüllung gewisser Vorbedingungen erforderlich. Zum Beispiel musste ein Versorgungsflug bei Camp Inferno eintreffen, wenn gerade kein anderer havenitischer Shuttle über eine direkte Signalverbindung zu diesem Lager verfügte. Und der Pilot des Versorgungsshuttles müsste überdies das Com abschalten, nachdem er kurz vor der Ankunft zum letzten Mal Signalkontakt mit Camp Inferno gehabt hatte.
Bisher hatte es drei Versorgungszyklen gegeben, ohne dass die geforderten Randbedingungen erfüllt gewesen wären. Honor war ehrlich genug zuzugeben, dass ihr die Anspannung des Wartens allmählich zusetzte. Immerhin reichten die Lebensmittellieferungen der Havies aus, um nicht nur die ›legale‹ Lagerbevölkerung, sondern auch Honors Leute zu ernähren. Die Garnison führte nicht sonderlich aufmerksam Buch über die Gefangenen, nur etwa jedes zweite T-Jahr kam es zu einer Zählung, und seit der letzten Erhebung war etwa ein Dutzend von Infernos Insassen eines natürlichen Todes gestorben. Daher gab es wenigstens genug zu essen.
Eigentlich bemaßen die SyS-Leute die Rationen sogar recht freigiebig – sofern sie nicht gerade ein Lager zur Strafe aushungerten. Vermutlich war man deshalb großzügig, weil es nichts
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