Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
später kommt es heraus, dass Lady Harrington – oder immerhin einer ihrer Leute – lebend fliehen konnte. Wenn das passiert wäre, solange wir unter Bordarrest standen und keinen Kontakt nach draußen hatten, wäre es ganz schön prekär geworden. Aber jetzt wird es allein ein Problem der Systemsicherheit sein, wenn es ihnen dämmert, nicht meins. Meine Leute und ich sind nicht mehr irgendwo, wo sie uns unbemerkt verschwinden lassen können , dachte er mit gewisser Zufriedenheit. Tatsächlich freute er sich schon darauf, zusehen zu können, wie die SyS jemanden aus den eigenen Reihen für solch unfassbare Nachlässigkeit bestrafte, aber er hoffte auch sehr, dass man die Mantys nicht wieder einfing.
Wenn doch, muss man sie diesmal wirklich alle umbringen , dachte er weit weniger fröhlich. Nachdem die SyS Lady Harrington offiziell hingerichtet hat, um nicht zugeben zu müssen, was wirklich geschehen ist, kann man derart unbequeme Zeugen auf keinen Fall am Leben lassen.
Das bedauerte er sehr, doch er hatte für die Gefangenen getan, was in seiner Macht stand. Sein Gewissen war so rein, wie es für einen Offizier in der aktuellen VRH nur möglich war, und er verschloss all diese Gedanken und Erinnerungen an einem sicheren Ort. Die augenblickliche Situation erforderte seine ganze Aufmerksamkeit.
Manch einer hätte seine Beförderung zum Vizeadmiral vermutlich als angemessene Belohnung für den größten Sieg der Volksflotte im laufenden Krieg betrachtet. Doch Tourville hielt die Beförderung eher für eine Bestechung – sie war ein Ausgleich dafür, dass man ihn so lange auf Eis gelegt hatte. Er wäre lieber Konteradmiral geblieben. Vizeadmirale standen zu weit oben, und allzu leicht schob man ihnen die Schuld zu, wenn sie mit ihren Verbänden keinen Erfolg hatten, und in den letzten acht oder neun Jahren stellte man solch erfolglose Offiziere gern zwischen Wand und Exekutionskommando. Deshalb hatte Tourville sich stets alle Mühe gegeben, der Beförderung zu entgehen, nur um schließlich doch noch erwischt zu werden, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
Der Lift erreichte den Beiboothangar, und die Türen öffneten sich geräuschlos. Aber jetzt , dachte Tourville, ist Esther McQueen unsere Kriegsministerin, und vielleicht kann man dem Versprechen des Komitees, für verlorene Gefechte keine Admimle mehr zu erschießen, sogar Glauben schenken . Das war die gute Nachricht. Schlecht war, dass McQueen ihn und die Count Tilly für den derzeitigen Einsatz ausgesucht und persönlich bei Saint-Just losgeeist hatte. Wenn sie nämlich irgendwann in ihrem Ehrgeiz etwas Dummes tat, würde die Systemsicherheit sich nicht darum scheren, dass er die Frau kaum kannte. Ob es ihm nun passte oder nicht, sie hatte ihn damit öffentlich als einen ›ihrer‹ Anhänger markiert – und so mochte er mit seiner Entlassung aus dem Bordarrest durchaus vom Regen in die Traufe gekommen sein.
Aus einem anderen Lift traten sein breitschultriger Stabschef und sein Operationsoffizier. Bürger Captain Bogdanovich nickte Tourville und Honeker mit halbwegs freundlicher Miene zu, doch Shannon Forakers langes, schmales Gesicht war bar jeden Ausdrucks. Unter normalen Umständen war Foraker recht attraktiv, doch nun war ihr Gesicht zu einer eisig beherrschten Maske geronnen, und Tourville empfand nicht zum ersten Mal Sorge darüber. Foraker hatte sich nach Honor Harringtons Gefangennahme verändert, und nach dem langen Arrest war er sich nicht mehr sicher, was in ihrem Kopf vorging. Außer ihm war sie der einzige Mensch, der wusste, dass die Mantys aus der Tepes entkommen konnten, und er wusste, dass sie niemals etwas getan hätte, wodurch dieses Geheimnis in Gefahr geriet, doch ihre Persönlichkeit schien sich völlig verändert zu haben. Früher war sie eine fröhliche, typische Technikversessene gewesen, die den persönlichen Beziehungen ringsum oder den politischen Gezeiten innerhalb der Flotte keinerlei Beachtung schenkte. Nun beobachtete sie alles , was in ihrer Umgebung geschah, und wählte ihre Worte mit der gleichen Sorgfalt aus, die sie früher für Operationspläne reservierte. Niemals vergaß sie je die passenden Anredeformen.
Jedem, der Foraker kannte, erschien diese letzte Veränderung mehr als nur bedenklich, denn ihr Verhaltenswandel zeigte, dass ihr erstklassiger Verstand, der sie für die Manticoraner so gefährlich machte, nun andere Gefahren erwog, andere Feinde und – andere Möglichkeiten.
Gewiss mutete es unwahrscheinlich
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