Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
Tourville, wenn er die sich ausbreitenden Trümmerfelder betrachtete, die Rettungskapseln und die unidentifizierbaren Wrackteile, die alles waren, was von Megatonnen massenden Wallschiffen übrig blieb. Jedes dieser Schiffe hatte eine Besatzung von mehr als fünftausend Menschen getragen, und der havenitische Admiral fragte sich, wie viele davon wohl überlebt haben mochten.
Nicht viele , dachte er. Nein, ganz bestimmt nicht. Aber was zum Teufel denke ich da? Hätte ich’s etwa lieber, wenn meine eigenen Leute in solchen Scharen gestorben wären? Verdammt, ich habe bereits acht- oder neuntausend Mann verloren! Ich sollte froh sein, dass die Hunde, die sie auf dem Gewissen haben, nun tot sind.
Aber das war er nicht. Stolz auf seine Leute empfand er wohl, und grimmige Entschlossenheit, die Aufgabe zu Ende zu führen, für die sie solch einen hohen Preis bezahlt hatten. Niemand aber konnte in das taktische Display blicken, all die Toten zählen und sich freuen. Jedenfalls niemand, dessen Bekanntschaft Lester Tourville zu machen wünschte.
Er schüttelte sich, als der letzte manticoranische Schlachtkreuzer zerbarst. Die überlebenden Kreuzer, Zerstörer und LACs griffen noch an und versuchten, mit äußerster Tapferkeit und bodenloser Verzweiflung Energiewaffenschussweite zu erreichen. Tourville wandte sich ab. Er brachte es nicht über sich, ihnen beim Sterben zuzusehen.
»Wir nehmen wieder Kurs auf Sansibar, Karen«, sagte er leise zu seiner Astrogatorin und wandte sich Bürgerin Commander Foraker zu.
»Erstellen Sie Ihre Beschießungspläne, Shannon«, sagte er. »Ich hoffe bei Gott, dass sie so schlau sind, sich zu ergeben. Wenn ja, gebe ich ihnen bis zu zwölf Stunden, um ihre Orbitalanlagen zu räumen, bevor wir sie zusammenschießen. Aber ich bin nicht bereit, allzu viel Zeit auf Diskussionen zu verwenden.« Er brachte ein frostiges Grinsen hervor. »Wenn wir sie damit nicht zur Vernunft bringen, dann kann ich mit Worten erst recht nichts ausrichten, oder?«
Er setzte sich wieder in den Kommandosessel, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und tastete in seiner Brusttasche nach einer Zigarre. Am liebsten hätte er geweint.
36
»Bereithalten für Transition auf mein Zeichen«, sagte Bürgerin Commander Tyler. »Transition in fünf … vier … drei … zwo … eins … jetzt! «
Kampfgruppe 12.4.1, bestehend aus den Superdreadnoughts des Kampfverbands 12.4 und abschirmenden Leichten Kreuzern, stürzte mit strahlend hellen Blitzen überschüssiger Transitenergie aus dem Hyper- in den Normalraum. Kaum einhundertundachtzigtausend Kilometer außerhalb der zweiundzwanzig Lichtminuten messenden Hypergrenze des G0-Sterns Basilisk flackerte das an- und abschwellende azurblaue Leuchten auf, ein außerordentlich präzises Meisterstück der Astrogation, das Javier Giscard im Moment jedoch kaum zu würdigen wusste. Er war ganz damit beschäftigt, gegen den verwirrenden Schwindel und die Übelkeit anzukämpfen, die unvermeidbaren Begleiter jeder Gewalttransition, die sein ganzes Ich zu erfüllen schienen. Andere auf der Flaggbrücke des Superdreadnoughts Salamis würgten, und Javier wusste, dass es den Tausenden Menschen im gewaltigen Rumpf des Flaggschiffs nicht anders erging. Trotz seiner Übelkeit sann er darüber nach, wie verwundbar seine Kampfgruppe augenblicklich war. Die Besatzungen aller Schiffe waren momentan genauso handlungsunfähig wie er selbst, und dieser Zustand hielt, von Mensch zu Mensch verschieden, zwischen zehn Sekunden und zwei Minuten an. Während dieser Zeit konnten allein die automatischen Raketenabwehrsysteme einen etwaigen Angriff zurückschlagen. Wäre auch nur ein feindliches Schiff in einer Position gewesen, aus der es sich die vorübergehende Hilflosigkeit zunutze machen konnte, so hätte das Unternehmen in einer Katastrophe geendet.
Doch es stand kein Feindschiff in der Nähe. Das war auch nicht anzunehmen gewesen, denn ein Sonnensystem ist groß, und Javier hatte eigens den günstigsten Anflugkurs auf Medusa gemieden. Allerdings nur knapp. Er beabsichtigte, seine Mission so rasch wie möglich auszuführen, doch selbst eine leichte Kursabweichung erhöhte das Normalraumvolumen gewaltig, in dem seine Schiffe die Rücktransition vornahmen. Er zog es vor, mit der Weite des Alls zu arbeiten – und diesmal brauchte er nicht darauf zu achten, sich vor dem feindlichen Sensorennetz zu verbergen, das die Manticoraner mit Sicherheit installiert hatten. Die Volksflotte
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