Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
gegenwärtige Regierung der VRH, doch ebenso wie Honor nahm er seinen Diensteid ernst. Die Zeit würde kommen, da er einige sehr schwierige Entscheidungen fällen musste. Oder, um genauer zu sein, weitere schwierige Entscheidungen, denn seine Anwesenheit auf Hell war bereits das Resultat eines solchen Entschlusses.
Und dieser Entschluss ist der einzige Grund, weshalb er noch am Lehen ist , sagte sie sich. Wenn Alistair ihn nicht mitgebracht hätte, wäre er mit den anderen Havies gestorben, als Harkness die Tepes vernichtete. Selbst wenn das Schiff nicht explodiert wäre, hätten wir ihm keinen Gefallen damit getan, ihn zurückzulassen. Ransom hätte ihm niemals abgenommen, dass er uns nicht bei der Flucht geholfen hat. Wenn sie mit ihm fertig gewesen wäre …
Bei dem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut. Mit einem Nicken forderte Honor McKeon auf, sich neben sie auf den Baumstamm zu setzen.
Er fuhr sich mit den Händen über sein dunkles Haar, schleuderte den Schweiß von den Fingern und gehorchte dem impliziten Befehl. Unter dem dicken Dschungeldach wehte nur selten Wind, doch aufmerksam machte McKeon sich das bisschen Luftbewegung zunutze und setzte sich auf die Windseite der Wolke aus aufgewirbeltem Baumkatzenflaum.
Honor lachte. »Fritz hat mir vor zehn Minuten eine neue Wasserflasche gebracht«, sagte sie, ohne das Auge von Nimitz zu nehmen, den sie weiterhin mit dem Kamm bearbeitete. »Sie steckt in dem Rucksack. Bedien dich.« Nur wenn sie allein waren, duzten sie sich.
McKeon dankte ihr. »Warner und ich haben vor einer Stunde das letzte Wasser getrunken.« Er griff in den Rucksack, und als das, was er hervorzog, nicht nur gluckerte, sondern auch rappelte, machte er große Augen. Er hielt sich die Wasserflasche ans Ohr, schüttelte sie und spitzte entzückt die Lippen. »Eis! Davon hast du nichts gesagt.«
»Rang hat seine Privilegien, Commodore McKeon«, entgegnete Honor leichthin. »Nur zu.«
Noch eine Einladung brauchte McKeon nicht. Er schraubte den Deckel der wärmeisolierten Flasche ab, setzte sie an die Lippen, legte den Kopf in den Nacken und nahm einen tiefen Schluck. Als die eiskalte Flüssigkeit ihm die Kehle hinablief, kniff er vor Genuss die Augen zu. Weil es Honors Wasser war, fanden sich darin nicht nur die Elektrolyte und anderen guten Sachen, die Dr. Montaya jedem ins Trinkwasser mischte, sondern zusätzlich Aminosäuren und konzentrierte Nährmittel. Dem Geschmack taten sie nicht unbedingt gut, doch allein die Dekadenz eines kalten Getränks machte solche Nebensächlichkeiten rasch vergessen.
»Ach, großartig!« Endlich senkte er die Wasserflasche, ohne die Augen zu öffnen, und genoss die Kühle, die sich in seinem Mund ausgebreitet hatte, dann seufzte er und schraubte die Flasche wieder zu. »Ich hatte schon fast vergessen, wie kaltes Wasser schmeckt«, sagte er und steckte sie in den Rucksack. »Danke, Skipper.«
»Lass es gut sein mit der Verzückung«, sagte Honor und wiegte den Kopf leicht verlegen. Er nickte grinsend. Eigentlich lehnte sie es ab, wie Montaya sie ständig ›verwöhnte‹. Ihr Unbehagen versuchte sie mit Unbeschwertheit zu übertünchen, und dennoch erschienen ihre Sonderrationen ihr ungerecht, zumal jeder einzelne der Schiffbrüchigen weit mehr zur Flucht beigetragen hatte als sie. Gleichzeitig war sie gescheit genug, um keine Einwände zu erheben. Bei dem verzweifelten Ausbruch war sie von allen am schwersten verwundet worden. Und zuvor hatte man sie längere Zeit hungern lassen. Trotz des Rangunterschieds hatte Surgeon Commander Montaya ihr barsch befohlen, den Mund zu halten und ihm Gelegenheit zu geben, sie wieder ›aufzupäppeln‹. Manchmal kam es ihr vor, als würde jeder ihrer wenigen Untergebenen insgeheim die besten Leckerbissen von den Rationen für sie aufsparen.
Nun, der Begriff ›Leckerbissen‹ traf allerdings nicht ganz auf die havenitischen Notrationen zu. Bis zu ihrer Ankunft auf Hell hatte Honor geglaubt, nichts schmecke schlimmer als die manticoranischen Notrationen. Tja, man lernt jeden Tag etwas Neues dazu , dachte sie und wechselte das Thema.
»Etwas Interessantes von den Patrouillen?«, fragte sie, und McKeon zuckte mit den Schultern.
»Im Grunde nicht. Warner und ich haben die Proben gesucht, die Fritz wollte, aber ich glaube nicht, dass es mit ihnen besser funktioniert als mit den anderen. Jasper und Anson sind schon wieder auf eins dieser Bären-Luchs-Dingsbumse gestoßen, und es war genauso schlecht gelaunt wie die beiden
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