Honor Harrington 9. Der Stolz der Flotte
höfliches ›Ich habe es ja gleich gesagt‹ zu verkneifen. Trotzdem musste sie zugeben, dass ihr Waffenträger Recht gehabt hatte, was ihre körperliche Kondition betraf. Obwohl es ihr schon wieder besser ging, war ihre Ausdauer doch nur ein schwacher Abklatsch dessen, was sie vor der Gefangennahme hatte leisten können. Zum Glück betrug die Schwerkraft Hells nur 72 Prozent der Gravitation von Sphinx, aber Honor wollte sich nichts vormachen. Nachdem sie ihr Leben lang regelmäßig trainiert hatte und fast vierzig T-Jahre Kampfsporterfahrung besaß, kam ihre gegenwärtige Verfassung ihr eher noch schlechter vor. Sie sackte zusammen und lehnte sich, tief (und so leise wie möglich) durchatmend, mit dem Rücken an einen Baum.
LaFollet umkreiste den Rastplatz einige Minuten lang wachsam. Obwohl er tatsächlich keine Dschungelerfahrung hatte, bewegte er sich mit der Lautlosigkeit eines sphinxianischen Schneeleoparden. Nicht dass ich im Moment eine Herde Beowulfbüffel hören könnte, so laut pocht mir der Puls in den Ohren , dachte sie bekümmert und ironisch zugleich. Als ihr Waffenträger sich aus der Dunkelheit schälte, blickte sie auf. LaFollet hockte sich neben ihr nieder. Die Nachtsichtbrille verbarg sein Gesicht, doch Honor brauchte seine Miene nicht zu lesen; dank Nimitz spürte sie seine Emotionen unvermittelt. Ein wenig fühlte sie sich wie ein kleines Mädchen, das seine Hausaufgaben vergessen hat und vom Lehrer böse angestarrt wird. Nimitz schmiegte sich in seinem Gestell an ihre Brust und bliekte leise. Doch weder seine Belustigung noch LaFollets Mischung aus Leidenschaft und Resignation spendeten ihr Trost. Trotzdem rang sie sich ein müdes Halbgrinsen ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann senkte sie bedächtig die Hand und fuhr dem ‘Kater über den Kopf.
»Ich hoffe, Sie triumphieren nicht allzu lautstark, Andrew«, sprach sie ihn leise an, und er schüttelte kichernd den Kopf.
»Mylady, ich habe es schon vor langer Zeit aufgegeben, von Ihnen Vernunft zu erwarten.«
»So schlimm bin ich nun auch wieder nicht!«, widersprach sie, und diesmal lachte er lauter.
»Nein, das sind Sie nicht; Sie sind noch schlimmer. Viel schlimmer. Aber das ist schon gut, Mylady. Wäre es anders, wüssten wir gar nicht, was mit Ihnen los ist. Und weil es sich mit all Ihren anderen Eigenschaften genauso verhält, behalten wir Sie wohl, wie Sie sind.«
»Na, vielen Dank!«, brummte sie und hörte aus der Dunkelheit ein belustigtes Schnauben, etwa von dort, wo Jasper Mayhew saß. Eins hat es für sich, schiffbrüchig zu sein , dachte sie. Für Förmlichkeiten und Steifheit sind wir zu wenige. Im Grunde erleichterte sie diese Feststellung. An ihren Status als Gutsherrin von Harrington hatte sie sich mittlerweile zwar gewöhnt, doch manchmal kam er ihr noch immer so fremdartig vor. Seit ihrem siebzehnten T-Lebensjahr war das gegliederte Rangsystem der Navy ihre Welt gewesen, und sie wusste, welchen Wert militärische Disziplin und Autorität besaßen. Ihr gegenwärtiges ›Kommando‹ war indessen kleiner als LAC 113, das sie vor über achtundzwanzig Jahren befehligte. Damals schon hatte sie gelernt, dass in einer Gruppe, die eng zusammenarbeiten musste und in der jeder auf den anderen angewiesen war, Formlosigkeit sehr wertvoll sein konnte, solange die Befehlsverhältnisse eindeutig und intakt blieben. Insgesamt war sie im Moment sehr froh, durch keine unüberwindbaren Schranken von den Menschen getrennt zu sein, die nicht nur ihre Untergebenen, sondern auch ihre Freunde waren.
»Wie weit sind wir gekommen, was meinen Sie?«, fragte sie schließlich, und LaFollet blickte auf die matt leuchtende Anzeige seines Armbandgeräts.
»Knapp neunzehn Kilometer, würde ich sagen, Mylady.«
Sie nickte und lehnte ihren Kopf an den Baumstamm, während sie nachdachte. Kein Wunder, dass sie so müde war. Auch wenn das Unterholz in dieser Gegend nicht so dicht war wie am ersten Landeplatz, bildete es ein zermürbendes Hindernis, besonders nach Einbruch der Nacht. Ihr Vorankommen hatte es jedenfalls sehr verzögert, und trotz der Nachtsichtgeräte war jeder von ihnen über zahlreiche Ranken gestolpert, über niedrige Äste, Büsche, Baumwurzeln und Steinblöcke, und jeder war in mehr als nur ein Loch im Boden getreten. Honor war nur zweimal gestürzt, doch das Fehlen ihres Armes machte sich stets bemerkbar, wenn es darum ging, das Gleichgewicht zu bewahren. Beim ersten Mal war sie so unglücklich aufgekommen, dass sie
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